Kommerz und Wettkampf: Wie der Marathon interessanter werden kann

Trotz äußerst starker Leistungen, fristen deutsche Marathonläufer ein mediales Schattendasein. TV-Sender und Schuhfirmen können das ändern.

Noch nie waren deutsche Marathonis so gut wie momentan. Männer und Frauen knacken die harte Olympia-Norm, verbessern sich stetig und laufen doch unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung. Das muss sich ändern. Helfen kann: Kommerz.

Was für eine Zeit, was für Zeiten! Die sechs schnellsten Marathon-Zeiten der Männer in der ewigen deutschen Bestenliste wurden in den Jahren 2023 und 2024 gelaufen. Und auch Hendrik Pfeiffers 2023 in Berlin gelaufene 2:08:48 würde aktuell noch zu Platz 9 reichen. Und auch bei den Frauen stammen die Plätze 2, 3, 4, 6, 7 und 10 aus den Jahren 2023 und 2024. Noch nie waren deutsche Marathonis so gut (alle Zahlen Stand Anfang Februar 2024).

Gründe, warum kaum jemand von den Marathon-Leistungen erfährt

Leider bekommt das außerhalb der interessierten Lauf-Community kaum jemand mit. Laufen ist Volkssport, aber die Spitzenleistungen der Marathon-Läuferinnen und -Läufer finden kaum Beachtung. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Problem 1: Medial finden Marathons viel zu wenig Beachtung

Ich erkenne wirklich kein Muster mehr, welcher Sender welchen Marathon in welchem Umfang überträgt. Den Gipfel der Peinlichkeit erreichte die ARD im Jahr 2023 beim Berlin-Marathon. Die verbannte Deutschlands größte Sportveranstaltung nicht nur aus dem ersten Programm, sondern schaffte es, den Hauptteil des Laufs einfach komplett zu ignorieren.

Der Berlin-Marathon sei eine regionale Sache, meinte die ARD.

Der RBB übernahm traditionell die Übertragung des folkloristischen Teils. Dabei hätte allein Hendrik Pfeiffers Kampf um die persönliche Bestzeit / Kadernorm / Olympianorm für eine Übertragung im Hauptprogramm gesprochen. Ganz zu schweigen davon, dass Berlin Schauplatz zahlreicher Weltrekorde ist und mit Eliud Kipchoge der zum Zeitpunkt des Laufs noch amtierende Weltrekordinhaber am Start war.

Die Begründung der ARD für die ausgefallene Übertragung im Ersten: Der Berlin-Marathon sei zu regional. Peinlich, liebe Programm-Verantwortliche.

Problem 2: Marathon ist langweilig, wenn man keine Geschichten erzählen kann – oder will

Wer schon mal einen Marathon gelaufen ist, kennt die vielen großen und kleinen Geschichten rund um den Lauf. Das Training, die Leiden, der Lauf an sich… ein Marathon bietet Stoff für Filme und Serien, alle hautnah am Menschen. Nur bleiben all diese Geschichten zumindest im Fernsehen weitgehend unerzählt. Wer wissen will, was die Sportlerinnen und Sportler auf sich nehmen oder wie sie den Lauf erleben, muss einen der verschiedenen Podcasts hören. Das Fernsehen hingegen begnügt sich mit altbackener Ergebnis-Berichterstattung. Da helfen auch tolle Experten wie Jan Fitschen nicht, wenn man sie nicht zur Entfaltung kommen lässt.

Das ist für eine Sportart fatal, deren Protagonisten nur zwei bis drei große Auftritte im Jahr haben.

Problem 3: Zu viele Wettkämpfe, zu wenig Wettkampf

Leichtathleten und insbesondere die Straßenläufer müssen sich in den Hintern beißen, wenn sie sehen, wie die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender an jedem Winterwochenende stundenlang Sport zeigen: Skilanglauf, Biathlon, Rodeln, Bob, Skispringen, Ski alpin — alles live, alles von Sponsoren präsentiert. Da muss es doch möglich sein, auch mal sonntags zweieinhalb Stunden lang einen Marathon zu zeigen.

Hendrik Pfeiffer beim Boston-Marathon 2023. Wenn einer das Zeug hat, ein Idol für den Nachwuchs zu sein, dann er. Foto: 1rennt1hinterher/Marathonfoto.com

Fragt sich nur, welchen. Welchen Marathon und welchen Sportler/welche Sportlerin soll das TV dem deutschen Publikum zeigen? Am besten natürlich alle, oder so viele wie möglich. Aber der große Nachteil des Marathons ist, dass es einfach zu viele gibt und es keinen Weltcup-Zirkus oder eine große Rennserie gibt, bei der die Marathon-Elite regelmäßig am Start ist, und ein einheitlich auftretendes Marathon-Team Deutschland gibt es auch nicht. Stattdessen verteilen sich die Spitzensportlerinnen und -sportler über das ganze Jahr und die ganze Welt, wobei sich die Besten der Besten auch noch aus dem Weg gehen und gar nicht gegeneinander antreten. Aber Sportler, die dem direkten Wettkampf aus dem Weg gehen, berauben den Sport seiner Faszination. Es ist langweilig – insbesondere für Nichtläufer –, Leute gegen die Uhr laufen zu sehen.

Die Probleme wären benannt, da liegen die Lösungen auf der Hand. Hier meine Vorschläge.

Tipp 1: Die Langstrecke muss auf die Straße

Ein 10.000-Meter-Lauf hat 25 Runden auf der Bahn. Das mag für Insider spannend sein. Fürs Publikum ist das elendig. Ich bin dafür, mindestens die 10.000, vielleicht sogar die 5.000 grundsätzlich von der Bahn auf die Straße zu holen. Auf diese Weise kommen Langstreckler zu den Leuten und müssen nicht in halbleeren Stadien laufen.

In dem Moment, in dem alle Profis mit den Massen gemeinsam am Start stehen, bieten sich viel bessere Möglichkeiten zur Vermarktung. Das führt zu Tipp 2.

Tipp 2: Mehr Kommerz!

Der Langstrecken-Zirkus braucht Glamour. Der entsteht mit Geschichten. Die starken Storys liegen im wahrsten Sinne auf der Straße, aber niemand erzählt sie! Hört euch einfach mal die drei bestplatzierten Podcasts aus meinem Test an, und ihr wisst, was da für ein Potenzial drinsteckt.

Heißt: Wenn die Öffis es nicht hinkriegen, muss das Privat-Fernsehen den Marathon entdecken. In einer der letzten Folgen von „1rennt1hinterher“ verbreitete Christian Schmidt die Mutmaßung, RTL habe die Senderechte am Berlin-Marathon gekauft. Das wäre ein grandioser Anfang, aber wirklich lediglich ein Anfang. RTL weiß, wie man Veranstaltungen vermarktet und Sponsoren anzieht. RTL würde es bestimmt schaffen, rund um den sonntäglichen Marathon auch noch den Samstag prominent zu besetzen, zum Beispiel mit einem hochkarätig besetzen Zehner und einem Halbmarathon. Wie gesagt: Es wäre ein Anfang. Hamburg, Hannover, Berlin, Köln, Frankfurt und München könnten etwa eine deutsche Rennserie bilden – powered by RTL. Doch weitere Schritte müssten folgen.

Tipp 3: Neue Strukturen, Vollprofis und ein Marathon-Team Deutschland

Der Wintersport zeigt, dass auch Einzelsportarten übers Team verkauft werden können. Wenn unsere Biathletinnen und Biathleten auf der Strecke sind, kämpfen sie zunächst mal für sich, auch wenn sie quasi als Nationalteam antreten. Sie reisen von Rennen zu Rennen, treten als Einheit auf, sind aber trotzdem als Individuen erkennbar.

Das Marathon-Team Deutschland dürfte wenig Probleme haben, einen hochdotierten Ausrüstervertrag und weitere Sponsoren zu finden, wenn die TV-Präsenz stimmt.

Wer weiß, vielleicht gliedert sich der Straßenlauf ja sogar aus dem trägen DLV aus und gründet einen eigenen Verband mit eigener Vermarktung. Denn Langstreckenläuferinnen und -läufer profitieren ohnehin kaum vom sogenannten Fördersystem des DLV.

Tipp 4: Profis laufen für Profi-Teams

Vielleicht haut das mit dem Marathon-Team Deutschland ja aus verschiedensten Gründen nicht hin. Oder dieses Team bildet einfach die Nationalmannschaft bei internationalen Wettkämpfen.

Vielleicht wäre es sogar gut so. Denn noch besser als ein Team wären viele Teams. Profi-Teams. Ich fresse einen Besen, wenn es in einem so starken Land wie Deutschland nicht möglich sein sollte, für eine vom TV gepushte und ordentlich vermarktete Sportart, die von Hunderttausenden Hobbysportlern ausgeübt wird, eine professionelle Struktur aufzubauen. Und das zu einem Bruchteil der Kosten, die für Fußball-Sponsoring benötigt werden.

Ein Hebel dieser Teams könnten die großen Schuhhersteller sein. Es wäre ja nur konsequent, wenn Adidas, Asics, Hoka, Nike, On, Puma und wie sie alle heißen, gemeinsam mit Sponsoren aus der Wirtschaft schlagkräftige Langstrecken-Teams aufbauen würden. Gerne regional verbunden. Das Potenzial wäre da, um den Läuferinnen und Läufern in diesen Teams finanzielle Strukturen zu bieten, die es überflüssig machen, dass sich Athletinnen und Athleten für Jobs bei der Bundeswehr oder bei der Polizei hergeben müssen. Ein netter Nebeneffekt wäre, dass sich dann auch die Arbeit als Trainer lohnen würde. Denn da hat Deutschland ebenfalls ein Problem.

Tipp 5: Mehr Wettkämpfe wagen

Sportfans lieben Wettkämpfe. Nicht gegen die Uhr, sondern gegen die unmittelbare sportliche Konkurrenz. Dazu müssten die Athletinnen und Athleten allerdings auch motiviert werden, gegeneinander anzutreten. Das ließe sich über eine Art Weltcup lösen, bestehend aus ein paar Marathons, Halbmarathons und 10-Kilometer-Rennen. Für jede Platzierung gibt es Punkte, am Ende wird abgerechnet. Natürlich muss niemand an zehn Marathons im Jahr teilnehmen — es lässt sich bestimmt ein Modus erarbeiten, bei dem niemand mehr als die üblichen zwei bis drei Marathons und den einen oder anderen Zehner bestreiten müsste und trotzdem für spannende Wettkämpfe gesorgt wäre.

Marathon ist großer Sport mit großer Leidenschaft

Ich weiß natürlich nicht, wie realistisch meine Tipps sind. Ich weiß aber, dass großer Sport Menschen fasziniert und dass es so wie es ist, nicht gut ist. Marathon oder Straßenlauf sind telegen. Wenn es ein Sender schafft, zwei Stunden lang im Kreis fahrende Rennautos oder Menschen, die von Schanzen springen (weiter weg vom Breitensport als Skispringen kann eine Sportart nicht sein), zu zeigen, dann geht das auch mit Menschen, die zwei Stunden rennen und dabei große Dramen aufführen.

2 Antworten auf „Kommerz und Wettkampf: Wie der Marathon interessanter werden kann“

  1. Ich war schon immer sehr beeindruckt von Menschen, die an Marathons teilnehmen. Vielleicht, weil ich weiß, wie viel Arbeit und Mühe es erfordert, mit solchen Aktivitäten Ergebnisse zu erzielen. Ich bettele auch gerne, aber die Teilnahme an einem Marathon ist für mich ein zu großes Ereignis.

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