Behind the Rocks Ultra: Wunderbare Gegend, wunderbarer Lauf

Was für ein geniales Erlebnis! Der Behind the Rocks Ultra in Moab wird mir lange im Gedächtnis bleiben. Ein Bericht von einem Rennen, einer Reise und einer unerwarteten Begegnung.

Nach unendlich vielen unendlich langen Trainings habe ich den Behind the Rocks Ultra ins Ziel gebracht. Rückblickend waren einige der Trainingsläufe mental anstrengender als der Ultra selbst. Asphalt, der die Bänder und Knochen malträtiert, mieses Wetter, das aufs Gemüt schlägt, Trainingsumfänge, die irgendwann nur noch nerven – das alles ist vorbei und fand mit dem Ultra im wunderschönen Moab einen würdigen Abschluss.

Prolog: Die Woche vor dem Start

Wie verbringt man die letzte Woche vor einem Ultra, wenn entlang der Reiseroute zahlreiche Verlockungen in Form von Bier (Las Vegas und im Wohnmobil) und Wanderungen (überall sonst) auf einen warten? Was das Bier angeht, fiel uns Dreien (bzw. Wiggy und mir, Sascha ist in der Lage, asketisch zu leben) die Wahl relativ leicht. In Restaurants ist Bier in den USA unverschämt teuer, und den Wohnmobil-Kühlschrank füllten wir einfach mit Bud light, das zumindest so schmeckt, als könne es nicht schädlich sein.

Wunderschön: der Corona Arch in der Nähe von Moab, Utah.

Im Valley of Fire statteten wir der faszinierenden Fire Wave einen Wanderbesuch ab. Das war auf dem Weg nach Moab aber schon die größte Strapaze. Ansonsten ließen wir es wirklich ruhig angehen. Natürlich hatte ich im Trainingsplan noch ein paar Laufeinheiten versteckt, allerdings passten wir den Plan an die Verfügbarkeit von Waschmaschinen an.

Das Pensum in der Woche vor dem Ultra war entsprechend bescheiden:

  • vier Kilometer Wanderung im Valley of Fire
  • 10 Kilometer Lauf in Page
  • 13 Kilometer Lauf im Arches National Park
  • sechs Kilometer Wanderung plus diverse kurze Wege im Arches National Park, danach noch fünf Kilometer Wanderung zum Corona Arch
Letzter Trainingslauf im Arches National Park.

Mein Kalkül war, dass ich beim Ultra ohnehin viel wandern würde und die eine oder andere Wanderung daher eher hilfreich als schädlich sein würde. Den Tag vor dem Lauf verbrachten wir sehr gechillt im Canyonlands National Park, in dem man mehr mit dem Auto unterwegs ist als auf den Füßen.

Ankommen

Nach dem Sightseeing im Canyonlands ging es über die anspruchsvolle Behind the Rocks Road, eine Piste aus Sand und Geröll mit tiefen Spurrillen, zum Startbereich. Dort war eine Fläche eigens für Wohnmobile ausgewiesen. Sascha steuerte uns sicher dorthin. Ein freundlicher junger Mann wies uns einen Platz zu und zeigte uns nach erfolgreichem Einparkvorgang mit einem breiten Grinsen im Gesicht zwei Daumen hoch. Sehr sympathisch, der Junge.

Eingeparkt: das Wohnmobil am Start.

Auf dem Weg zum Einschreiben grinste der Junge schon wieder: „Are you the Dortmund group?“, fragte er. „Hä? Äh, yes! We are the Dortmund group.“ Was dann folgte, war eine mega-sympathische amerikanische Lawine des Überschwangs, dass er schon den ganzen Tag auf uns gewartet habe und immer neidisch sei, wenn ich auf Instagram Fotos vom Stadion poste und dass man sich ja für ein Team entscheiden müsse, die MLS aber doof sei und so sei es bei ihm eben Borussia geworden… Kurz: Unser freundlicher Parkplatzeinweiser und Sohn des den Lauf organisierenden Familienunternehmens Mad Moose Events heißt Malachi und ist BVB-Fan. Zuuuufällig hatte ich einen BVB-Schal mit, den ich ihm schenkte – natürlich mit dem Hinweis, dass das gute Stück matchworn und mit Bier getauft sei.

Beim Einschreiben bekamen wir zusätzlich zu unseren Startnummern und den Zeitmesschips noch T-Shirts und Käppis als Giveaways. Sehr nice. Am Abend durfte ich meine Kochkünste beweisen und bekochte unsere private Wohnmobil-Pastaparty.

Laufen

Startschuss um sieben Uhr. Die 50-Meiler sind seit einer Stunde auf der Strecke. Hibbelig halte ich Sascha und Wiggy auf Trab, deren 30-Kilometer-Lauf erst um acht auf die Piste geht. Einer aus unserem Feld hat eine Trompete dabei und spielt die amerikanische Nationalhymne. Ich bin angemessen gerührt.

Gut gelaunt vor dem Start des Behind the Rocks Ultra.

Die ersten paar Kilometer sind gut laufbar (oder wie ich es seit dem Antelope Canyon Ultra nenne: runnable). Das Geläuf ist sandig und wellig. Recht früh nach sechs Meilen kommen wir an die erste Verpflegungsstation, an der ich noch gar nicht so richtig weiß, was ich nehmen soll, weil ich irgendwie noch nichts brauche. Aber Station Nummer Zwei kommt erst nach weiteren 15 Kilometern. Ich trinke also einen Schluck, um meine Trinkblase zu schonen, und nehme mir ein paar salzige Cracker.

So gestärkt geht es weiter.

Wandern

So ganz schlecht war die Verpflegung nicht aufgebaut, denn nach der kurzen Stärkung ändert sich das Terrain. Der erste längere Anstieg erwartet uns. Der Boden wird felsiger, das Gelände ruppiger. Die ersten ernstzunehmenden Höhenmeter folgen – immer mehr Läuferinnen und Läufer wandern, ich natürlich auch. Das kenne ich seit dem Marathon am Stilfser Joch und habe meinen Frieden geschlossen.

Doch noch geht es hauptsächlich bergab. Die wirklich fiesen Höhenmeter kommen erst nach dem Wendepunkt, wenn wir diese ganzen schönen, teils recht steilen Trails wieder hochlaufen müssen. Doch auch so gibt es immer wieder Gründe zum Wandern. Mal ist der Sand ziemlich tief, mal der Weg ganz schön steil. Doch das ist alles nichts im Vergleich zu dem, was noch kommt. Insgesamt werden wir rund 1200 Höhenmeter bewältigen. Meine Schuhwahl – der True Motion U-Tech Nevos next gen – erweist sich als goldrichtig. Die Schuhe meistern jedes Gelände souverän und zeigen keine Schwäche.

Klettern

Der zweite Verpflegungspunkt wartet nach genau 25 Kilometern auf uns. Bis dahin müssen wir ein paar Kletterstellen überwinden, die Sascha und Wiggy bei ihrem 30er erspart bleiben. Ich habe mich allerdings gerade wegen dieses Kletterteils für den 50er entschieden. Geradeaus laufen kann schließlich jeder. Also freue ich mich auch ein bisschen auf das, was da kommt.

Runter und rauf – klettern gehört beim Behind the Rocks Ultra dazu.

Und es kommt so richtig. Zuerst lassen sich größere Höhenunterschiede noch mit kleinen Sprüngen überwinden. Doch allmählich werden die Felsen höher, das Gelände unebener und der Trail schmaler. Ausgerechnet hier, kurz vor/hinter dem Wendepunkt, ist der Gegenverkehr recht stark. Springen ist nicht mehr. Aber rutschen. So wie andere Läufer auch, bin ich mir nicht zu fein, an den steilen Kletterstellen den Höhenunterschied sitzend und auf dem Hintern rutschend zu bewältigen. Gleichzeitig frage ich mich allerdings, wie ich die schätzungsweise drei Meter hohen Felsen auf dem Rückweg wieder erklimmen soll. Naja, das soll mein Problem sein, wenn es soweit ist. Erst mal zur Verpflegung.

Dort ist Halbzeit, und unsere Trinkrucksäcke werden kontrolliert und aufgefüllt. Ich trinke Cola, stopfe irgendwelches Salzgebäck in den Mund und mache erst mal eine kleine Pause.

Leiden

Doch auch die schönste Pause ist irgendwann vorbei. Ich will ja schließlich ins Ziel kommen. Ich ahne, dass ich auf dem Weg leiden werde.

Verpflegung zur Halbzeit.

Die ersten Meter des Rückwegs sind noch easy, aber dann kommt der Aufstieg. Hier kann man mal laufen, meistens aber nicht. Noch immer ist Gegenverkehr, was heißt, dass ich mich irgendwo im Mittelfeld befinde. Gut so.  Doch dann kommen die Felsen und die Probleme Herausforderungen. Die größte davon lauert in meinem linken Oberschenkel: Sobald ich das Bein hebe, um mich auf einen Felsen zu stemmen, zuckt ein Krampf durch die Innenseite des Oberschenkels. Das fühlt sich eklig an und hindert mich vor allem daran, diese dämlichen Steine hinaufzuklettern. Beim ersten Felsen geht es mit zusammengebissenen Zähnen. Dann wieder etwas gehen/laufen.

Doch plötzlich stehen wir vor einer Wand. Glücklicherweise hat sich hier ein freundlicher Mitläufer postiert. Er hilft meiner Mitläuferin Meghan per Räuberleiter. Als sie Probleme bekommt, auf dem Fels Grip zu finden, haben der nette Helfer und ich gleichzeitig die selbe Idee: Wir strecken unsere Arme aus und heben Meghans Hinterteil in die Höhe. Sie bedankt sich und läuft weiter. Jetzt bin ich dran. Doch beim ersten Versuch, zuckt mir wieder der Krampf ins Bein. Kurz ärgern, kurz erklären. Plötzlich kommt eine Hand von oben, die mir ein weiterer Läufer entgegenstreckt. Unten gehoben, oben gezogen – so schaffe ich es nach oben.

Das anspruchsvollste Stück ist geschafft. Jetzt kommt der Teil für den Kopf. Erst mal muss ich diesen vermaledeiten Krampf rauswandern.

Auch das gelingt nach einer Weile. Jetzt muss ich eigentlich nur noch laufen, wenn ich laufen kann, und wandern, wenn ich wandern muss. Ganz easy. Unterwegs finde ich sogar Gelegenheit, das Handy auf sein kleines Stativ zu stellen und für Fotos und Videos vor und zurück zu laufen. Ich bin erstaunlich fit und freue mich schon jetzt, dass sich das Training gelohnt und mein selbstgeklöppelter Trainingsplan hervorragend funktioniert hat.

Quatschen

Zugegeben, ich bin in Deutschland erst einen Ultra gelaufen (beim Bottroper Herbstwaldlauf), aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Ultras in den USA eine total lockere Sache sind. Wie schon beim Antelope Canyon Ultra sehe ich auch beim Behind the Rocks keine ausgemergelten, bierernsten Gesichter. Selbst die Spitzenläufer, die uns irgendwann entgegenkommen, finden Zeit zum Grüßen und ein kurzes Lob. Überhaupt: „Good Work“ oder „Good Job“ sind unsere ewigen Begleiter auf der Strecke. Lob, Aufmunterung, Respekt gehören dazu.

Genussläufer!

Und Plaudereien. Ich komme immer wieder mit anderen Läuferinnen und Läufern ins Gespräch, quatsche über Saschas, Wiggys und meine Anreise und unsere Wohnmobil-Tour. Und wieder einmal ist es krass, wieviele Amerikaner einen Bezug zu Deutschland haben. Da frage ich den Typen mit dem weiß-blauen Rautenmuster auf der Wade, ob er Bayer sei, und er erzählt, dass er eine Weile als Kind dort gelebt habe, als sein Vater in Deutschland stationiert war. „Das war, bevor die Bayern alles gewonnen haben“, sagt er mit verärgertem Unterton und lässt durchblicken, dass ihm der BVB sympathischer ist. So ein nettes Volk.

Und dann ist da natürlich Meghan, Anwältin aus Colorado, gebürtig aus West Virginia (West Virginiaaaaaaa, Mountain mommaaaaa), die sich wundert, warum ihre deutschen Bekannten immer lachen und „Country Roads“ singen, wenn sie „West Virginia“ hören. Ich leiste Aufklärungsarbeit über die Hermes House Band und das Oktoberfest und seltsames deutsch-niederländisches Brauchtum.

Wir quatschen uns Kilometer um Kilometer näher zum Ziel. Meghan bekommt Magenprobleme und ich bin bereit, sie notfalls ins Ziel zu tragen. Doch nach vielen, vielen Kilometern berappelt sie sich und kommt letztlich vor mir ins Ziel.

Jubeln

Noch zwei Kilometer bis zum Ziel. Ich spüre Vorfreude und laufe meinen Stiefel runter. Tumbleweed rollt über den Weg. Mehr Wilder Westen geht nicht. Allerdings stelle ich mir eine Frage: Wo, zum Henker, ist das Ziel? Ich müsste es schon sehen. Oder hören. Oder zumindest erahnen. Aber da ist nix. Die Uhr springt auf 50. Das Ziel ist nicht da. Ich raune einer Mitläuferin zu, ob sie auch die 50 auf der Uhr stehen hätte. „Wir bekommen ein paar Bonus-Meilen“, sagt sie. Und tatsächlich: Nach einer Kurve taucht das Ziel rund einen Kilometer vor uns auf. Zeit für einen Endspurt.

Auf der Zielgerade jubele ich. Ich bin so wahnsinnig stolz auf mich, diesen Lauf und das diszipliniert durchgezogene Training. Wahnsinn! Nach 7 Stunden und 44 Minuten habe ich den Behind the Rocks Ultra geschafft!

5 Antworten auf „Behind the Rocks Ultra: Wunderbare Gegend, wunderbarer Lauf“

    1. Danke schön. Wenn das viele Training nicht wäre, würde ich glatt schon den nächsten planen.
      Neidisch musst du nicht sein – ist ja nicht sooo schwierig, dahin zu kommen. Und die Distanz läufst du doch eh alle paar Wochen. 🙂

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