In der Pandemie gelten besondere Gesetze. Das gilt auch für den Sport-Unterricht im Homeschooling. Da hilft man als laufender Papa der großen Tochter sehr gerne bei den Hausaufgaben. Auch wenn’s weh tut.
Ich bin schon lange der Ansicht, dass die Lehrpläne von Biologie und Sport in einigen Teilen aufeinander abgestimmt werden müssten. Das Thema „Stoffwechsel“ bietet sich ja an. Das dachte sich wohl auch der Sportlehrer der großen Tochter und baute in seinen Unterricht Theorie ein, die so auch im Bio-LK unterrichtet werden könnte.
Erst sollte sich das Kind mit verschiedenen Trainingsmethoden beschäftigen, zunächst auf dem Papier, danach draußen an der Luft. Finde ich klasse, weil man viele Dinge auch mal am eigenen Leib erfahren haben sollte, um sie ein bisschen besser nachzuvollziehen.
Aber diese Wochenaufgabe ging dann doch ein bisschen zu weit.
Die Hausaufgabe: Intervalltraining
Zwei Trainingseinheiten stehen auf dem Homeschooling-Plan. An einem Tag soll sie 10×100 Meter sprinten. Die Pausen sollen dabei so bemessen sein, dass sie sich gerade eben wieder zutraut, den nächsten Sprint zu starten. Aufgabe Nummer Zwei sieht 5×200 Meter vor, allerdings mit je zehn Minuten Pause.
Ich finde das toll. Aber ich bin ja auch irre.
Bei Risiken und Nebenwirkungen verklagen Sie Ihren Sportlehrer
Und trotzdem habe ich doch drei Probleme entdeckt.
Problem 1: Wenn ich mir vorstelle, wie ein komplett unfitter, vielleicht sogar übergewichtiger oder gar unerkannt vorerkrankter Schüler zehn Sprints auf der Bahn abreißt – oder sich daran versucht -, wird mir etwas bange. Das erinnert mich ein bisschen an die darwinistischen Dauerläufe in meiner Schulzeit. Ich finde das durchaus riskant, zumal auch nicht alle Eltern mit einem so gesunden (Halb-)Wissen in Sachen Training ausgestattet sind wie ich. Oder ist das seit jeher die Verknüpfung von Evolutions-Theorie und Sport? Survival of the fittest und so. Ist ja auch Bio…
Bonus-Problem: Mit 90 Prozent ihrer Top-Leistung sollen die Jugendlichen die Hunderter sprinten, die 200er sogar mit 100 Prozent. Um 90 Prozent zu laufen, muss man aber erst mal 100 Prozent kennen. Und um 100 Prozent zu kennen, muss man mindestens einmal kotzend am Bahnrand gestanden haben. Eine Woche hat der Sportlehrer dem Kurs Zeit gelassen, um a) das eigene Leistungspotenzial zu ermitteln, b) 10x100m und c) 5x200m zu laufen. Was ist das? Olympia? Ich hätte da ja doch ein paar gesundheitliche Bedenken.
Problem 2: Wo machen wir’s? Pandemie-bedingt sind ja die Sportplätze zu. Einige der ohnehin wenigen vernünftigen Laufbahnen in Dortmund sind nicht erreichbar. Bleiben das Goystadion in Hörde mit seiner charmanten Aschenbahn und zum Beispiel der Hoeschpark in der Nordstadt (Tartanbahn, aber zu weit weg, um vom Dortmunder Süden abends mal eben hinzufahren). Das Goystadion ist eine tolle Location, großzügig angelegt, kultige Ruhrpott-Asche, die um den hübschen Kunstrasenplatz führt. Dortmund ist ja Fußballstadt, weshalb inzwischen alle Plätze Kunstrasen haben, gute Laufbahnen aber Mangelware sind.
Problem 3: Die Luft. Dortmund-Hörde ist ein spezieller Stadtteil. Die Einwohnerschaft ist sehr gemischt, was irgendwie auch den Charme des Ortes ausmacht. Neben dem Goystadion liegt die Wohnanlage Clarenberg, die ein eher problematisches Wohnquartier ist. Die Bewohner hängen gerne im Goystadion ab, weil es da Bäume gibt und Bänke, und weil es einfach nett dort ist. Das ist eigentlich gar kein Problem. Doch das Publikum säuft und kifft und auf der Bahn duftet/riecht/stinkt es mitunter entsprechend. Wenn ich dort Intervalle laufe, finde ich das irgendwie knuffig.
10×100 Meter: Rennen bis der Kopf platzt
An einem Donnerstagnachmittag fahren wir zum Goystadion. Ich will auch sprinten. Zwar habe ich noch schmerzhafte Erinnerungen an mein Sprint-Experiment mit Laura Siegeroth von der LG Olympia Dortmund (Ergebnis war ein Muskelfaserriss im Oberschenkel), aber ich will dem Kind ja bei den Hausaufgaben helfen. 🙂
Wir schätzen auf der Hauptgeraden 100 Meter ab (ziemlich genau, wie wir später feststellen) und machen uns an die Arbeit. Nach zehnminütigem (steht so in der Aufgabe, ich finde es viel zu kurz) Aufwärmen, machen wir ein paar Steigerungsläufe, um Blut in die Muckis zu bekommen.
Die 100-Meter-Strecke führt durch drei Duftzonen:
- Bier am Start
- Gras (Marihuana, NICHT Rasen) bei 30-50 Meter
- Hundekacke kurz vorm Ziel
Wir ballern den ersten Hunderter. Es macht richtig Bock, und ich bin sehr begeistert von mir. Kurz hinter mir rennt die Tochter ins Ziel und ist ziemlich kaputt. Aber das ist ja Zweck der Aufgabe. Wir schlendern zurück zum Start und ballern sofort wieder los. Mir geht’s gut, das Kind beginnt zu leiden. Nach dem vierten Intervall redet sie vom Aufgeben. Ich bestimme, dass wir nach dem fünften ja eine kleine Halbzeitpause machen können.
Interview am Streckenrand
Da die Kids eine Audioaufnahme machen sollen, in der sie von ihrem Training berichten, stelle ich ein paar Interviewfragen. Olympisches Flair am Streckenrand. Danach schreiten wir wieder zum Start.
Auf dem Weg zum Start finde ich den Gras-Geruch und den Bier-Mief ziemlich heftig. Das Kind bekommt Kopfweh. Der Rest des Körpers rebelliert schon seit der dritten Bahn. Auch mein Kopf schmerzt, aber dem Rest geht’s gut. Auf dem sechsten Hunderter bricht die Tochter ein und geht die letzten 20 Meter. Ich biete meine Motivations-Künste auf („Wenn du glaubst, du kannst nicht mehr, musst du es noch mal versuchen, um herauszufinden, ob es stimmt.“) und erzähle, wie toll es ist, wenn einem im Ziel so richtig schlecht ist.
Wir schaffen noch Lauf Nummer Sieben, dann setzt der Geruch vom Streckenrand auch meinem Kopf zu. Das Kind ist komplett kaputt. Wir laufen eine Runde locker aus und fahren nach Hause.
Mit meiner Leistung bin ich sogar ziemlich zufrieden. Ich habe Sprints verletzungsfrei überstanden, bin mit den Asics MetaRacer sogar schön auf dem Vorfuß gerannt. Dafür bezahle ich mit heftigem Muskelkater in den Rückseiten der Oberschenkel – und auf und zwischen den Schulterblättern. Letzteres bedeutet wohl, dass ich ordentlich mit den Armen gearbeitet habe.
Das 200-Meter-Fiasko
Der Sportlehrer meint, ein Tag Pause solle zwischen den beiden Einheiten liegen. Unsere Muskeln (mein Arsch Gluteus Maximus jammert wie lange nicht mehr) schmerzen, das Kind hat königlichen Muskelkater. Da die Aufgabe bis Sonntagabend erledigt sein soll, fahren wir am Sonntagmorgen in den schönen Hoeschpark, wo es zumindest nicht stinkt und eine echte Laufbahn vorhanden ist.
Mein Plan ist ja, dass ich an jedem Wochenende mindestens einen Halbmarathon laufen möchte. Ich würde gerne die fünf 200er immer mit vollem Speed rennen, die zehnminütigen Pausen laufend auf der Bahn verbringen und dann gemütlich nach Hause – müsste hinkommen und wäre ein nettes Fahrtspiel.
Es wird ein Fiasko. Schon beim gründlichen Aufwärmen merke ich, dass mein Gluteus Maximus überhaupt nicht in Sprintlaune ist. Ich kann traben und joggen, aber nicht sprinten. Ich habe keine Lust auf den dritten Muskelfaserriss meines Läuferlebens. Aber als moralische Unterstützung will ich trotzdem auf der Bahn sein.
Zehn Meter schaffe ich, dann breche ich den ersten Sprint ab. Das Kind rennt und gibt nach 100 Metern auf. Der Muskelkater vom Donnerstag gewinnt. Ich trabe weiter um die Bahn, bis wir wieder am 200er-Start stehen. Auf die Plätze, fertig – los! Und stopp. Ich trudele nach zehn Metern wieder aus, lasse der Tochter den Vortritt. Als ich sehe, dass sie schwächelt, renne ich hinter ihr her und feuere sie an. Doch nach 150 Metern ist Ende. Auch der dritte 200er endet auf diese Weise.
Wir hören auf. Ich trabe weiter auf der Bahn, um wenigstens zehn Kilometer vollzumachen. Den Halbmarathon schreibe ich meinen Muskeln zuliebe ab.
Fazit: Sportunterricht hat sich nicht geändert
Nach den zwei Einheiten habe ich gelernt, dass sich seit meiner Schulzeit offenbar und leider nicht viel geändert hat. Sportunterricht ist etwas für sportliche Schüler. Ich habe damals zum Beispiel gelernt, was ich alles nicht kann: Geräteturnen, Bodenturnen, laufen, Korbleger… Das Laufen habe ich mir erst Jahrzehnte später selbst beigebracht.
Ich fürchte, viele Kolleginnen und Kollegen meiner Tochter haben in der vergangenen Woche gelernt, dass sie nicht sprinten können.
4 Antworten auf „Bier, Gras und Muskelschmerz: Lauf-Hausaufgaben mit der Tochter“