Ein Satz heiße Ohren – der Glaubenskrieg um Musik beim Laufen

Kaum eine Diskussion rund um den Laufsport wird so erbittert geführt wie die, ob man nun mit oder ohne Musik oder andere akustische Unterhaltung/Untermalung/Unterstützung laufen soll. Fällt die Frage nach passender Laufmusik, bringen die Gegner ihre Geschütze in Stellung – und schießen scharf. Warum ist das so?

Es beginnt mit einer – an sich harmlosen – Frage: „Welche Musik empfehlt ihr zum Laufen?“ Was folgt, ist in unschöner Regelmäßigkeit eine Ansammlung von Belehrungen, Maßregelungen und purer Unverständnis, im harmlosesten Fall aus der Kategorie „Thema verfehlt“, im übelsten aus der Reihe „Wie ich meine Meinung zum Maß aller Dinge mache“.

Doch der Reihe nach. Das Fragewort „welche“ impliziert, dass der Fragesteller wissen möchte – Achtung, Überraschung! – WELCHE Musik er beim Laufen hören soll, nicht OB er Musik beim Laufen hören soll.

Frage nicht verstanden, Thema verfehlt

Somit disqualifizieren sich alle pseudolustigen Klugscheißer mit folgenden Antworten: „Das Rauschen der Blätter im Wald“, „Das Zwitschern der Vögel“, „Mein Atem ist mein Beat“, „Das Tapsen meiner Schritte“, „Musik zerstört meinen Naturgenuss“. Ihr seid raus! Alle!

Alle diese Antwortgeber haben erstens die Frage nicht verstanden (gefragt wurde nach Musik, nicht nach Geräuschen) und zweitens offenbar keine Vorstellung davon, dass nicht jeder Läufer seinen Atem bzw. das Tapsen der Schuhe hören möchte oder beim Laufen immer einen Wald mit rauschenden Blättern und zwitschernden Vögeln zur Hand hat.

Das Rauschen des Verkehrs ist nicht schön

Liebe Naturburschen und Liebhaber von Wäldern und Vögeln, seid ihr jemals in einer Großstadt entlang einer vielbefahrenen Hauptstraße gelaufen? Zur Info: Da rauscht höchstens der Verkehr und es zwitschert mal ein Keilriemen. Und ja, wer an Ampeln wartet, kommt sogar mit Kopfhörern über eine Kreuzung, ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen.

Kurzum: Macht doch den Fragestellern das Leben leichter, indem ihr den Leuten das Antworten überlasst, die passende Antworten geben möchten, und dabei spielt es keine Rolle, ob die Musikempfehlung „David Guetta“ oder „Wildecker Herzbuben“ lautet. Das nennt man übrigens Nettiquette.

Schonungsloses Stahlgewitter

Doch es geht noch schlimer, denn noch härter und schonungsloser sind die Reaktionen auf folgende Formulierung: „Mit welcher Musik motiviert ihr euch zum Laufen?“ Wer so fragt, endet in einem Stahlgewitter aus Vorwürfen, er habe sich ja wohl den falschen Sport ausgesucht, wenn er Musik benötige, um sich zum Laufen zu motivieren. Wer wirklich gerne laufe, benötige keine Motivation, das Laufen an sich sei doch Motivation genug…

Ey! Habt ihr keine Arbeit? Keine Familie? Macht ihr wirklich nichts im Leben außer zu laufen? Macht ihr alles nur ganz oder gar nicht? Könnt ihr euch nicht vorstellen, dass es Tage gibt, an denen es wirklich Überwindung kostet, das verdammte Intervalltraining durchzuziehen, das im Trainingsplan steht?

Etwas Empathie, bitte!

Versucht doch einfach mal mit etwas Empathie nachzuvollziehen, dass es Menschen, auch begeisterte Läufer, gibt, für die ein langer Sonntagslauf im Trainingsplan bedeutet, dass sie an sechs oder sieben Tagen in der Woche Termine in ihrem Kalender stehen haben. Dass auch Freizeitstress Stress ist und dass man zwar grundsätzlich supergerne trainieren geht und sich wahnsinnig auf den Marathon freut, aber gerade heute ein echter Scheißtag im Büro war und man einfach nur noch mit einem oder zwei Feierabendbierchen auf die Couch möchte.

Versucht es ganz kurz. Und danach versucht euch vorzustellen, dass es wirklich und tatsächlich Menschen gibt, die gerne lange Läufe machen und denen trotzdem nach zweieinhalb Stunden alleine laufen langweilig wird (oder nach einer oder schon vor dem Start) und die sich daher gerne mit etwas Musik oder einem Hörbuch motivieren möchten.

Kurzum: Versucht euch vorzustellen, dass es Läufer gibt, die anders sind als ihr.

Beim Wettkampf nerven Läufer mit Kopfhörern

Es ist ja okay, darauf hinzuweisen, dass Kopfhörer bei Wettkämpfen verboten sind. Ich fände es auch angebracht, wenn Veranstalter verstärkt darauf achten würden, das Verbot durchzusetzen. Wer im Läuferfeld mit Musik auf den Ohren läuft, hört seine Umgebung nicht, und allzu oft sind mir schon Kopfhörer-Läufer vor die Füße gerannt, weil sie mich nicht von hinten kommen hörten (und ich schnaufe echt laut!).

Letztlich ist es auch eine Frage des Respekts. Der Veranstalter und das Regelwerk des DLV verbieten Kopfhörer – dann kann man sie doch einfach weglassen. Wer glaubt, einen Marathon nur mit Musik zu schaffen, hat falsch trainiert.

Mal mit, mal ohne

Ich laufe im Training mal mit, mal ohne Musik. Ich mag es, wenn mich Beats bei Tempoläufen antreiben. Ich laufe gerne zum Tempo der Musik und mache so mein persönliches, kleines Fahrspiel daraus. Hörbücher oder Hörspiele helfen wirklich bei langen Läufen, oft lasse ich sie aber weg. Ich habe beim Laufen schon den Freischütz gehört und es genossen. Ob ich mit oder ohne Musik laufen gehe, entscheide ich kurz vor dem Start und bereue meine Entscheidung unterwegs nie.

Wenn die in unserer Welt und speziell in den (a)sozialen Medien grassierende Mischung aus Empathielosigkeit und notorischer Besserwisserei schon bei einer so banalen Frage wie der, ob man Musik beim Laufen hören solle, ihre hässliche Fratze zeigt, dann sagt das viel über den Zustand unserer Gesellschaft aus und liefert vielleicht sogar eine Erklärung dafür, warum Bewegungen wie AfD und Pegida so einen starken Zulauf haben. Leute, „Digitalisierung“ bedeutet nicht, dass es in der Welt und im Leben nur Eins und Null, Schwarz und Weiß oder Wahr und Unwahr gibt.

Tipps: Diese Songs machen mir Beine

  • Underworld – Born Slippy
  • Avicii – Levels
  • Safei Duo – Played A-live
  • David Guetta – fast alles
  • Run DMC – It‘s like that
  • Alice Dee Jay – Better off alone
  • Aron Chupa – Albatraoz
  • Martin Solveig & Dragonette – Hello
  • Depeche Mode – Personal Jesus (Stargate Mix)
  • Depeche Mode – Enjoy the sinence ‘04
  • Icona Pop – I love it
  • Walk the Moon – Shut up snd dance
  • Black-eyed Peas – I gotta feeling
  • Ganz viel Zeug von Gigi d‘Agostino, Metallica, Blink-182 und, und, und

4 Antworten auf „Ein Satz heiße Ohren – der Glaubenskrieg um Musik beim Laufen“

  1. Gerade noch habe ich Dr. Goggel (bewusst falsch geschrieben) gefragt, ob Kopfhörer beim Marathon erlaubt sind, da wird mir dieser Beitrag angeboten, der mich ziemlich sauer macht. Ich kann die Anfeindung absolut nicht nachvollziehen, weil der Alltag von mit Handyspinner ist, denen es egal ist ob deren lautes Gequatsche z.B. im Wald jemanden stört. Oder jene, die wie Zombies durch Welt torkeln oder im Auto den Verkehr gefährden. Und nun feindet man Leute an, die ruhig und für sie beim Running Mucke hören?
    Ich höre Musik, beim jedem Run 4-5x die Woche und es ist mir zu doof kreischende Kits, den Verkehr oder mich zu belauschen.
    Welche Musik? Ich habe mir aufwendig Musik auf meine Kadenz gepitched, da ich selbst nach langem Training nicht die gewünscht Trittfrequenz erreichen und konstant halten konnte. Beim Wettkampf gehe ich ja mit, frage mich aber dann, was die Pacermaker oder jetzt neu, Pacelights im Station sollen?

    1. Hi.
      Naja, ich meckere nicht über Leute, die Musik beim Laufen hören, sondern über Leute, die Musik bei Wettkämpfen hören. Das ist nun mal nicht erlaubt, und ich finde es respektlos den anderen Läufern gegenüber, die sich an die Regeln halten.
      Du wirst dem Text ja entnommen haben, dass ich selber oft Musik beim Laufen höre.
      Übrigens:

      https://www.laufendessen.de/warum-shot-me-down-von-david-guetta-das-beste-lied-fuer-intervalle-ist-und-warum-nicht/

      https://www.laufendessen.de/was-die-nordsee-und-meine-laufen-playlist-gemeinsam-haben/

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