Der Rothaarsteig Marathon – ein echtes Brett im Sauerländer Wald

Der Rothaarsteig-Marathon steht schon lange auf meiner Wunschliste. Seit ich an Höhenmetern irgendwie einen Narren gefressen habe, erst recht. Für dieses Jahr passte der Lauf in Schmallenberg bestens in den Plan – also nix wie hin. Trotz einer Warnung im Vorfeld, die mich noch einmal stutzen ließ.

„Auch, wenn sich die Jagdausübung auf wenige Tage im Jahr konzentriert, fallen die Termine des Rothaarsteig-Marathons und der Jagd bisweilen auf denselben Tag. Dann ist besondere Rücksichtnahme erforderlich“, schrieben die Organisatoren des Laufs in ihrem letzten Newsletter. Na, dann will ich mal Rücksicht auf die Jäger nehmen – nicht, dass ich noch einen von ihnen verletze.

12 Grad, Nieselregen – optimales Laufwetter

Frohen Mutes und ohne Gedanken an Jäger fahre ich mit der besten Frau der Welt nach Schmallenberg im schönen Sauerland. Das Wetter ist schaurig – zumindest aus fotografischer Sicht. Tristes Licht, Nebel, Nieselregen – da leuchtet der Herbstwald eher nicht. Das Läuferherz macht allerdings einen Hüpfer: „Ideales Laufwetter“, freue ich mich über die Bedingungen. Nicht-Läufer werden das wohl nie verstehen. Doch wenn ich schon gut 800 Höhenmeter vor der Brust habe, darf es gerne kühl sein. Zwölf Grad bedeuten: kurze Ärmel. Die Beine packe ich in Kompressionsstrümpfe und eine Dreiviertelhose. Ich kann also behaupten, nicht in langen Klamotten gelaufen zu sein, auch wenn ich am Bein keine Haut zeige. 🙂

Optimismus beim Start zum Rothaarsteig-Marathon.

Kurz vor dem Start weist der Streckensprecher auf das rutschige Terrain hin und empfiehlt robuste Schuhe. Ich trage meine klobigen Salomon, die irgendwo zwischen Wander- und Trailschuh liegen. Die Kollegen haben beim Saslong-Halbmarathon ganz gut funktioniert. Sie sind immer noch heiße Kandidaten für den Antelope Canyon Ultra und sollen im Sauerland erstmals über 42,195 Kilometer getestet werden.

Noch eine Warnung vor Jägern

Bei der Startaufstellung noch einmal die Warnung: Es ist Jagd! Wir sollen Rücksicht auf die Jäger nehmen und freundlich sein. Na, wer wäre denn nicht freundlich zu jemandem, der mit Gewehr und Hund bewaffnet ist? So blöd kann doch nicht mal ein Veganer sein… oder vielleicht doch?

Gute Stimmung auf der Strecke.

In der Vorab-Info war von Wisenten und allerlei Getier die Rede. Die Wisente will ich ja schon seit langem mal sehen. Die Herde pendelt ständig zwischen Schmallenberg und Bad Berleburg, allerdings glaube ich nicht, dass die Tiere am Rennverlauf interessiert sein werden. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Fußball-Stress und Schlafmangel – Vorbereitung geht anders

Dass ich überhaupt hier stehe, hat eher etwas mit Sturheit als mit Vernunft zu tun. Der Rothaarsteig-Marathon kollidiert mit dem Bundesliga-Spielplan. Zum Glück wurde das Spiel des BVB gegen Gladbach für den Abend angesetzt, sodass eigentlich genug Zeit sein sollte, um zum Anpfiff im Westfalenstadion zu sein. Terminstress beim Laufen – das mag ich ja total. Ich, der ich schon einen Rappel bekomme, wenn meine Frau mich vor einem Trainingslauf fragt, wann ich wieder zurück bin.

 

Und dann war da noch der spontane Kurztrip nach Georgien. Mittwoch hin, Freitag zurück, Samstag Marathon. Klappt doch alles, kein Problem. Da hatte ich die Rechnung allerdings ohne das Leben im Allgemeinen und die Zeitverschiebung im Besonderen gemacht. Das Leben spielte sich für mich am Freitag an folgenden Orten ab:

  • Kutaissi, Georgien, 2 Uhr MESZ
  • Flughafen Dortmund
  • Venlo, Niederlande
  • Dümpenhof, Wachtendonk
  • Lamershof, Tönisberg
  • Bett, Dortmund, 22 Uhr MESZ

Da Georgien Deutschland um zwei Stunden voraus ist, musste ich bereits um 2 Uhr deutscher Zeit aus den Federn. Bis das Programm mit Flug, Shopping in Venlo, Kind 2 vom Reiterhof abholen, Hähnchen im Lamershof essen (wenn man in der Ecke ist, ein Pflichttermin!) und endlich schlafen gehen abgearbeitet war, war es 22 Uhr. Gute Nacht, um 6 Uhr klingelt der Wecker, guten Morgen.

Voll im Saft und voller Optimismus

Schaffe ich den Marathon überhaupt? „Ja!“, denke ich. Ich stehe total gut im Saft, die Beine fühlen sich super an, ich bin im Training, habe mich beim Phoenixsee-Halbmarathon pudelwohl gefühlt. Ich schaffe alles!

Hähnchen statt Pasta-Party vor dem Lauf.

Ich gehe also voller Optimismus auf die Strecke. Ich will ja nix gewinnen, sondern Spaß haben, Fotos machen und abends pünktlich beim Fußball sein.

Gute Stimmung auf der Strecke

Unterwegs ist die Stimmung hervorragend. Wie üblich bei solchen Genussläufen, ist für viele die Zeit zweitrangig, aber nicht egal. Einige trainieren Höhenmeter, alle wollen bloß ankommen. Ein Läufer erzählt mir, dass er heute seinen ersten Marathon laufe – ausgerechnet hier! Und dann kommt der auch noch fünf Minuten vor mir ins Ziel – Frechheit.

Das Feld zieht sich in die Länge. Da es nur 800 und nicht 2500 Höhenmeter sind wie am Stilfser Joch, versuche ich, die meisten Anstiege zu laufen und nur an den ganz steilen Passagen zu marschieren. Ich will ja auch keine Zeit verplempern, die ich auch mit Fotopausen verbringen könnte. Blöd nur, dass gleich der erste Anstieg in die Kategorie „sausteil“ passt. Also marschieren.

Häufchenweise Wisente

Noch vor der Halbmarathon-Marke gebe ich die Hoffnung auf Wisente auf. Selbst wenn die riesigen Tiere auch nur hundert Meter von uns entfernt im Wald stünden, wären sie nicht zu sehen. Es ist zu nebelig, teilweise richtig duster. Aber ab und an liegen ein paar Kuhfladen auf dem Weg – Wisent-Häufchen?

Gegen Blasen an den Füßen hilft ein Lächeln im Gesicht.

Statt der Tiere macht sich etwas Anderes bemerkbar: eine Blase. Unter meinem rechten Fuß. Nicht schlimm, aber anwesend und angesichts von noch rund 20 Kilometern zu laufen einen Gedanken wert. Ich überlege nach einer Strategie, wie ich mit dem Ding umgehen kann. Ich beschließe drei Varianten:

  1. Nicht so anstellen! Ich habe neulich in einem Hörbuch (das ich hier noch rezensieren werde, weil es einfach mega-gut ist) gehört, dass sich Ultra-Läufer nach ihren 70-Kilometer-Tagesetappen gegenseitig die Blasen aufstechen und verarzten und am nächsten Tag wieder laufen. Ich habe nur noch 20 km zu laufen und morgen frei, das wird ja wohl zu schaffen sein.
  2. Ignorieren! Immer wieder kommt es auf der Strecke zu kleinen Plaudereien, die von der Blase unterm Fuß ablenken. Beim Quatschen spüre ich sie nicht.
  3. Akzeptieren! Sie ist da, sie tötet mich nicht, ich werde schon klarkommen.

Die Kilometer fühlen sich wie Meilen an

Alle drei Strategien funktionieren. Statt mit der Blase, kämpfe ich mit anderen Dingen, etwa damit, dass mir die Kilometer unendlich lang vorkommen. Das liegt einerseits daran, dass meine Uhr tierisch nachgeht und gegenüber der Streckenmarkierung um ca. 800 Meter hängt. Ich habe also überhaupt kein Gefühl für Zeit und Raum. „Verpflegung in 1 km“ kündigen Schilder immer an, mir kommt der Weg wie eine Meile vor.

Während ich das denke, fällt mir ein, dass ich für den Antelope Canyon Ultra auch noch Meilen lernen muss. Vielleicht mache ich das in Bottrop beim Herbstwaldlauf und stelle meine Uhr auf Meilen um.

Herbstliche Stimmung beim Rothaarsteig-Marathon.

Unterdessen fange ich an zu rechnen, wie es denn um die Stadion-Pläne bestellt ist. Sieht eigentlich gut aus. Die Halbmarathon-Zeit ist mit ca. 2:20 Stunden zwar nicht überragend, aber weit weg von einer Marathonzeit von fünf Stunden, weil es auf dem „Rückweg“ ja hauptsächlich bergab gehen dürfte. Ich tippe auf eine 4:30 im Ziel und freue mich auf den Stadionbesuch.

Mein erstes Mal: Bier beim Marathon

An einer Verpflegungsstelle sehe ich, wie sich ein Lauf-Kollege ein Bier in seinen Becher schüttet. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Ist das Privatverpflegung? Nee, offenbar haben die Verpfleger das bereitgestellt. Also nehme ich die Flasche, schnappe mir einen Becher und kippe. Das Zeug schmeckt und tut unglaublich gut, obwohl es von der falschesten aller falschen Marken ist. Ich laufe weiter und bin gespannt, wie mir der Schluck bekommt.

Bier.

Ich merke überhaupt nichts vom Alkohol. Alles ist gut. Eigentlich warte ich nur auf eines: Es soll endlich bergab gehen. Der Rothaarsteig-Marathon ist ein Rundkurs, es muss also irgendwann wieder runter gehen. Aber wann? „Bald“, sagen einige Läufer, die die Strecke kennen.

Fehltritte ausgeschlossen: vorbildliche Streckenmarkierungen

Nach einer engen Kurve geht es auf einen schmalen Waldweg und der führt: bergab! Der Streckenposten warnt uns vor dem glitschigen Boden. Meine Schuhe kommen ganz gut damit klar. Die tolle Arbeit der Organisatoren hilft zusätzlich. Die haben wirklich jede einzelne Baumwurzel mit roter Farbe markiert. Fehltritte sind komplett ausgeschlossen.

Endlich ein bisschen bergab „rollen“ zu können, tut gut. Ich hoffe bloß, dass die Muskeln ob der ungewohnten Bewegung nicht „zu“ machen. Die Gefahr besteht ja durchaus. Aber bevor ich den Gedanken zuende gedacht habe, geht es schon wieder hoch.

Noch elf Kilometer, endlich bergab!

Die Erlösung von der Kletterei kommt elf Kilometer vor dem Ziel. Ein Streckenposten stimmt mich darauf ein, dass es jetzt wirklich „nur noch“ bergab geht. Dieses „nur noch“ lässt allerdings die vielen, kleinen, ekeligen Anstiege aus, von denen ich noch nicht weiß, dass sie noch kommen und die mich auf den letzten fünf Kilometern noch viel Kraft kosten werden. Aber jetzt erst mal runter. Erst auf Asphalt, was eine nette Abwechslung ist, dann auf einem geröllig-matschigen Fahrweg.

Hervorragende Streckenmarkierung beim Rothaarsteig-Marathon.

Ich lasse laufen und rolle mit ungeahnter Pace den Berg runter. 4:50 min/km laufe ich, das fühlt sich toll an! Bis in meinem rechten Oberschenkel etwas flattert. In der Innenseite deutet sich ein Krampf an. Ich bremse, massiere, dehne. Es krampft. Ich werde überholt. Mein Magnesium befindet sich in meiner Sporttasche in der Umkleide – toll! Ich beschließe, den Krampf „rauszugehen“. Beim Köln-Marathon hat das auch funktioniert. Rächt sich jetzt doch der Schlafmangel der letzten beiden Tage?

Gehen ist auf dem steilen Weg gar nicht so leicht. Es wird eher ein vorsichtiger Trab. Ungefähr 100 Meter vor mir flacht das Terrain ab. Dort laufe ich etwas schneller und tatsächlich verzieht sich der Krampf und kommt auch nicht wieder.

Auf und ab zum Ziel

Die letzten Kilometer ziehen sich wie Kaugummi. Wir laufen auf Nordic Walker auf, die mit ihren Stöcken nebeneinander etwas viel vom Weg einnehmen, aber es klappt noch alles ohne Komplikationen. Ich laufe allerdings „Kampflinie“; schon die ganze Zeit folge ich einer gedachten blauen Linie und nehme nur die Innenkurven. Ich laufe auf ein Grüppchen Walker auf, rufe freundlich „Vorsicht!“, obwohl ich außen genug Platz zum Überholen hätte.

Das Grüppchen teilt sich, ich laufe durch: „Sorry, aber ich will die kleine Kurve laufen“, sage ich. „Haha, verständlich!“, antwortet eine Walkerin. Man muss halt nur nett sein. Dabei habe ich auch die Uhr im Blick, denn die 4:30 ist jetzt mein Ziel, nicht nur eine Rechnung. Es läuft sich einfach besser, wenn man ein konkretes Ziel erreichen will.

Die Geräusche der Zivilisation

Noch ein Kilometer. Als ich gerade wieder denke, dass das eine Meile ist, sagt ein Streckenposten: „Noch 600 Meter!“. Das ist doch schön, also mache ich etwas flotter. Aus der Ferne höre ich die Stimmen vom Zielbereich. Nach fast 42 Kilometern im Wald ist das ein komisches Gefühl, fast so als käme ich von einer langen Reise zurück.

Zieleinlauf beim Rothaarsteig-Marathon.

Noch eine Kurve, dann ist Asphalt unter meinen Füßen. Der Streckensprecher kündigt mich an, ich winke. Ein Mitläufer eröffnet den Schlussspurt und überholt mich noch, mir ist das völlig wumpe. Ich laufe ins Ziel, bin total happy. Meine Zeit: 4:30:54 – tja!

Anstrengend, toll organisiert – dieser Lauf ist genial

Der Rothaarsteig-Marathon ist ein echtes Brett! Ich hatte ihn mir hart vorgestellt, aber nicht so hart. Es sind zwar „nur“ gut 800 Höhenmeter, aber eben verteilt auf 42 Kilometer und nicht auf 21 wie am Langkofel. Es gibt viele Passagen, die man laufen kann, was natürlich mehr in die Beine geht als ein stetiges Walking-Tempo den Berg hinauf wie beim Stilfser Joch. Es ist die Kombination aus Höhenmetern und Marathon-Distanz, die den Rothaarsteig-Marathon so anspruchsvoll macht. Der Lauf macht einfach richtig Spaß!

Was fehlt, ist die Medaille. Es gibt keine. Stattdessen bekommt jeder Läufer vor dem Lauf wirklich hochwertige Socken eines großen Schmallenberger Unternehmens. Aber Socken lassen sich irgendwie doof ans Medaillen-Board hängen. Vielleicht wäre es eine Überlegung wert, wenn die Organisatoren im Ziel zumindest kleine, aus sauerländischem Holz gefertigte Medaillen verteilen würden. Ich fänd’s nett.

Duschen, ab ins Stadion, spätes Zielbier

Im Ziel treffe ich noch eine ganz liebe Ex-Kollegin. Wir quatschen kurz, danach „eile“ ich im Rahmen meiner bescheidenen Möglichkeiten zur Umkleide. Zu meiner eigenen Überraschung schaffe ich es sogar, mir die Strümpfe ohne fremde Hilfe auszuziehen.

Schnellen (hahaha!) Schrittes geht es zum Auto. Meine Frau hat Mettwurst gekauft – geile Zielverpflegung. Ohne Stau und andere Komplikationen fahren wir nach Dortmund. Die Treppen an der U-Bahn und in der Tribüne bereiten keine Probleme. Während Nobby Dickel die Mannschaftsaufstellung präsentiert, kommen wir auf unseren Plätzen an. „Ich geh Bier holen, willze eins?“, fragt meine Nachbarin. Und dann gewinnt der BVB auch noch! Besser kann so ein Tag nicht laufen.

 

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