Red Bull ist schlimm. Der Wings for Life World Run allerdings ist leider ziemlich gut. Und Esther und Hendrick Pfeiffer? Grandios. Ein innerer Konflikt eines Romantikers.
Ich bringe es gleich mal auf den Punkt: Red Bull ist für mich als Sport- und vor allem Fußballfan und Romantiker die verabscheuungswürdigste Marke der Welt. Konstrukte wie Red Bull Salzburg oder Leipzig sind der Tod von allem, was Fußball ausmacht. Oder mal ausgemacht hat. Oder ausmachen sollte. Feindliche Übernahme, aggressives Marketing – es gibt reichlich Güunde zur Kritik, denn Red Bull erfindet nicht, Red Bull übernimmt.
Das Unternehmen geriert sich gerne als Förderer des Sports, sponsert allerdings durchaus risikoreiche Veranstaltungen, bei denen Athleten gefährliche Stunts ausführen und ihr Leben riskieren. Dies führte in der Vergangenheit bereits zu Vorwürfen, dass Red Bull durch seine Werbung und Sponsoringaktivitäten gefährliche Verhaltensweisen fördere. Ein Artikel des Focus beschreibt, wie Red Bull ein ganzes Sportimperium aufbaute, das nicht frei von Kritik ist. “Werben im Sport wie andere Unternehmen wollte Mateschitz nicht, er machte die Marke und den Namen Red Bull zum Bestandteil des Sports“, schreibt der Focus.
Im Universum von Star Trek wäre Red Bull die Borg – ein emotionsloses, parasitäres Etwas ohne Individualität und mit dem Drang, gnadenlos zu assimilieren und zu zerstören. Kurz gesagt: Wenn Red Bull etwas macht, kann es nicht gut sein. Red Bull verleiht eben keine Flügel, sondern zerstört Strukturen, Traditionen und den Charakter.
Red Bull und der rechte Flügel
Angereichert wird der Faktor des Widerlichen durch zahlreiche Berichte, die eine Unterstützung von Rechtspopulisten durch Red Bull und den hauseigenen Sender ServusTV thematisieren.
Diese Einschätzung ist nicht aus der Luft gegriffen. Dietrich Mateschitz, der Gründer von Red Bull, wurde wiederholt für seine Nähe zu rechtspopulistischen und rechtsextremen Kreisen kritisiert. ServusTV diente laut Medienberichten als Plattform für rechtsextreme Meinungen – darunter auch für den Chef der Identitären Bewegung, Martin Sellner. Während der Pandemie fungierte ServusTV zeitweise als Bühne für Corona-Leugner und Verschwörungsideologen. Auch Mateschitz selbst äußerte sich in Interviews rechtspopulistisch – etwa zur Flüchtlingspolitik. Die Irrungen des Red-Bull-Schützlings und Irgendwo-runter-Springers Felix Baumgartner passten da sehr gut ins Bild.
Um es mal ganz klar zu sagen: Wer mit Rechtspopulisten kooperiert oder sich von ihnen sponsern lässt, handelt moralisch äußerst fragwürdig.
🔍 Quellen zur Rechtspopulisten-Thematik
- Der rechte Rand:
„Martin Sellner bei ServusTV – Rechte Meinung im Hangar“
👉 www.der-rechte-rand.de - BR24 (Bayerischer Rundfunk):
„ServusTV – Der Sender der Querdenker“
👉 www.br.de - Wikipedia:
„Dietrich Mateschitz – Politische Ansichten“
👉 de.wikipedia.org - taz – die tageszeitung:
„Ein Mann und seine Marke – Die dunkle Seite von Red Bull“
👉 www.taz.de - Der Spiegel:
„Wie Red Bull mit rechter Politik flirtet“ (Podcast)
👉 www.spiegel.de
Zwischen Sportswashing und Euphorie
Es wäre so schön, wenn die Welt so einfach wäre. Ist sie aber nicht. Denn leider hat Red Bull auch den Wings for Life World Run erfunden – und der ist nicht nur ganz klar anzuprangerndes Sportswashing auf höchstem Niveau, sondern leider auch ziemlich genial.
Der Wings for Life World Run ist ein globales Charity-Event, bei dem alle Teilnehmenden gleichzeitig starten – egal, ob in München, Rio oder auf dem Laufband. Statt einer Ziellinie gibt’s ein „Catcher Car“, das sich eine Viertelstunde nach dem Startschuss auf den Weg macht und nach und nach die Läuferinnen und Läufer einholt. Wer am längsten davonläuft, gewinnt. Und das Beste: 100 % der Startgelder gehen an die Rückenmarksforschung zur Heilung von Querschnittslähmung (Infos auf wingsforlifeworldrun.com).
Ich wollte eigentlich schlafen …
Ich habe diese Veranstaltung immer sehr erfolgreich ignoriert. Red Bull ist einfach ein Tabu. Das Tabu funktionierte so gut, dass ich den Lauf eigentlich nicht einmal ignorieren musste – ich wusste weder, wann er war noch wer da mitlief oder überhaupt irgendwas. Auch in diesem Jahr kannte mein Desinteresse keine Grenzen, und hinge da nicht ein Werbeplakat an einer Bushaltestelle um die Ecke, wäre der doofe Brause-Lauf einmal mehr weit, weit weg gewesen.
Außerdem hatte ich selber Wettkampf: 10 km beim Dortmunder Frühlingslauf im Revierpark Wischlingen. Übrigens ein sehr schöner Lauf, den ich noch nie auf dem Zettel hatte. Platz 6 (von 21) in meiner AK ist sehr okay, die Zeit von 52:21 min auch – angesichts meiner Abneigung gegenüber Zehnern. Ich hatte wirklich gute Beine, der Rest des Körpers hatte Bier vom Vorabend (Borussia, Stadion, Schicksal…).
… aber dann kamen Esther und Hendrik Pfeiffer
Als ich also frisch geduscht auf der Couch ein bisschen wegdämmern wollte, erschien beim Rumtippen auf der Fernbedienung in der YouTube-App des Fernsehers die Live-Übertragung des Wings for Life World Runs. Anderen Leuten beim Laufen zuschauen, ist ja so etwas wie ASMR für Ausdauersportler. Ich schalte also ein – und wer rennt da durch mein Wohnzimmer? Esther Pfeiffer!
Die beiden Pfeiffers, Hendrik und Esther, begleiten mich jetzt schon seit einer Weile durch mein Läuferleben und sind eine ziemlich coole Inspirationsquelle.
Es macht einfach Spaß, die beiden durch ihr oft unkonventionelles Training zu begleiten. Sie gehen unbeirrt ihre eigenen Wege und scheuen dabei keine Schmerzen. Esther hat sich binnen weniger Jahre zu einer Spitzenläuferin auf der Halbmarathon-Distanz gemausert, und auch im Marathon hat sie bereits geglänzt. Da wird noch etwas von ihr kommen, keine Frage.
Hendrik wiederum ist für mich ein absolutes Mentalitätsmonster, dessen Karriere ich jetzt schon seit fast zehn Jahren begleite. Sein Training ist ein „täglicher Kampf gegen sich selbst“, wie er es in einem Interview formuliert hat. Dabei arbeitet er konsequent auf die Kadernorm hin und sich am DLV ab – ohne aber dabei die Lust an Genussläufen zu verlieren. Marathons in Boston, New York, London oder Singapur sind für ihn genauso Teil des Weges wie ein Zehner in der Fußgängerzone von Bocholt oder in Bogota. Ich liebe diesen Balance-Akt und freue mich immer wieder königlich, wenn er funktioniert.
Hendrik ist nicht nur schnell, sondern auch reflektiert und einer der wenigen, die den Finger regelmäßig in offene Wunden legen. Sei es beim Deutschen Leichtathletikverband (DLV) oder im Anti-Doping-Kampf.
Ja, er schießt dabei vielleicht manchmal übers Ziel hinaus. Aber wenigstens sagt mal einer was – laut, klar und nachvollziehbar.
Esther eskaliert
Apropos übers Ziel hinaus: Esther rennt wie gesagt üblicherweise Halbmarathon. Ihr Ziel liegt bei 21,0975 bzw. 42,195 Kilometern. Seit ihrem Marathon ist sie nicht mehr weiter als 25 Kilometer gelaufen. Und was blenden die da bei der Übertragung ein? 42,3 Kilometer? Esther auf Ultra-Kurs?
Und Esther rennt wie aufgezogen: Lange Schritte, ästhetischer Stil, keine Spur von Erschöpfung zu sehen – wie krass ist das denn, bitte? Das war’s mit meinem Schläfchen. Ich hab Pfeiffersches Düsenfieber oder so. Wie weit will die bitte rennen? Dann ein Schreck! Sie verpasst eine Flasche, Verwirrung. Was nun? Auf den kommenden Kilometern läuft sie nicht mehr so rund, aber sie läuft und läuft.
Später sehe ich, dass Hendrik ebenfalls auf der Strecke ist – und ebenfalls die Marathonmarke weit hinter sich gelassen hat. Hallo? Hat der nicht gerade erst eine Fuß-OP überstanden? Alter! Ich sag ja: Mentalitätsmonster.
Ergebnis: Prinzipien hin, Gänsehaut her
Um’s kurz zu machen: Am Ende sitzen vier sportaffine, aber Red-Bull-verachtende Menschen bei mir auf der Couch und fiebern fassungslos mit, wie Esther den Wings for Life World Run gewinnt. Also den ganzen, weltweit. Sie läuft unfassbare 59,03 Kilometer! Knapp am Rekord vorbei. Es war knapp, es war spannend, es war dramatisch – danke, Esther!
Und während andere (also ich) sich noch fragen, wie lange man nach einer Fuß-Op wohl Laufpause macht, läuft das Monster Hendrik beim Wings for Life World Run 66,74 Kilometer. Damit holt er sich in einem spannenden Finish den Sieg beim Flagship Run in München und landet in der globalen Gesamtwertung auf einem bärenstarken sechsten Platz.
So steht am Ende das Ehepaar Pfeiffer ganz oben in der Ergebnisliste. Well deserved. Esther und Hendrik stehen für Glaubwürdigkeit, Persönlichkeit und Hingabe.
Man muss Red Bull kritisieren und boykottieren. Aber was die Pfeiffers da abgeliefert haben? Das war ganz großes Laufkino.

- Esther Pfeiffer: 59,03 Kilometer – weltweiter Sieg der Frauenwertung
- Hendrik Pfeiffer: 66,74 Kilometer – Sieger der deutschen Flagship-Run-Wertung, weltweit Platz 6
(Quelle: wingsforlifeworldrun.com)
Was habe ich heute gelernt?
Prinzipien sind toll, der doofe Wings for Life World Run aber leider auch.
Oder wie die beiden Kinder, die das Rennen gebannt vom Sofa aus verfolgt haben, sagten: „Das muss olympisch werden!“ Boah, man stelle sich das vor: Ein Verfolgungsrennen mit Catcher Car bei Olympia. Ein Rennen, bei dem niemand weiß, wie weit der Sieger rennen muss. Es sind genau solche Formate, die frischen Wind in die manchmal etwas angestaubte Sportwelt bringen.
Und dann noch diese Maßstäbe setzende Übertragung. Red Bull hat hier leider nicht nur großen Sport produziert, sondern auch noch großes Kino Fernsehen Streaming. Während es deutsche TV-Sender nicht einmal schaffen, beim Berlin-Marathon die deutschen Spitzenläufer zu zeigen, streamt Red Bull einfach mal aus aller Welt und transportiert auf erstklassige Weise die Vielseitigkeit und Spannung des Wettkampfs (okay, beim Stream aus Deutschland gab es erwartungsgemäß Aussetzer – Netzabdeckung und so, kennt man ja).
Und die Moral? Ach, die Moral!
Joa, und sonst? Ich liebe Sport. Ich liebe spannenden Sport. Ich liebe es, hautnah dabei zu sein, wenn etwas Großes passiert. Leider ist der Sport auf vielen, vielen Ebenen verdorben. Als Sport- und Fußball-Fan bin ich es gewohnt, mit all den widerlichen Verbindungen von Sportfunktionären zu Diktatoren und Autokraten rund um den Globus zu leben. Vielleicht muss man ohnehin kleinere Moral-Brötchen backen, wenn man irgendwie noch Spaß an dem ganzen Elend haben möchte. Wir Fans halten den Laden schließlich mit Tickets und Abos am laufen, weil wir ja irgendwie emotional abhängig von dem Kram sind.
Der Wings for Life World Run mag Sportswashing sein. Aber er ist halt leider geil. Und offenbar hat er Wirkung. Er ist das weltweit größte Laufevent. 310.719 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 170 Ländern sammelten 8,6 Millionen Euro für die Wings for Life Stiftung. Vielleicht muss man da mal in den moralinsauren Apfel beißen.
Aber eines steht fest: Mir kommt keine dieser Dosen in den Kühlschrank.
Sehr geiler Artikel. Danke für die morgendliche Belustigung.
Danke. 🙂