Mit dem Rad zur Arbeit: Weck das (Stink)Tier in dir

Endlich Sonne! Endlich Bedingungen, bei denen es Spaß macht, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren! Doch obwohl ich mich wirklich freue, morgens und nachmittags wieder aufs Bike steigen zu können, gibt es doch einige Dinge, die mir stinken.

Die Diskussion begann mit einer flapsigen Bemerkung zum Bild einer radelnden Business-Frau bei Facebook. Die Frau strahlte tiefenentspannt in ihrem gebügelten Hosenanzug.

Der Weg zur Arbeit.

„Ich mag dieses total realistische Symbolfoto mit der Frau im Business-Outfit, die nach 17 Kilometern Strampelei gegen den Wind oder bergauf völlig unverschwitzt und wohlduftend in ihrer Bank-Filiale ankommt.“

Kommentar auf Facebook

159 Likes und viele Ratschläge

Oha! Das war falsch. Neben 159 Likes erntete ich bierernste Belehrungen. Ob ich noch nie etwas von Waschlappen gehört hätte. Oder man könne seinen Anzug auch in einer Fahrradtasche transportieren. Weitere Tipps, wie man seine Klamotten knitterfrei auf dem Rad transportieren könne (die Frau auf dem Bild hat die Sachen aber schon an!). Wer mal im Fitnesscenter gewesen sei, kenne das Konzept vom Waschen und Umziehen. Und überhaupt, wer sich nicht bewegen wolle, finde immer einen Grund. Das volle Blablabla-Programm.

Dabei habe ich doch eigentlich nur über dieses konkrete Symbolbild gelästert…

Den Kollegen keinen Mief zumuten

Obwohl ich es ja liebe, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, kann ich das erst so richtig, seit ich eine Arbeitsstelle mit Dusche habe. Ich stelle es mir für die Kollegen nicht so prickelnd vor, wenn sie beim Toilettengang sehen, wie ich mir am Waschbecken gerade den verschwitzten Hintern wasche. Und noch weniger möchte ich Kollegen meinen Mief zumuten.

Es ist ja schön, dass viele Menschen vom Fahrrad steigen und offenbar nach Rosen oder Vanillezucker duften – ich stinke! Denn für mich ist Fahrradfahren Sport. Ich muss mich schon sehr am Riemen reißen, um mal wirklich entspannt zu fahren.

Vielleicht liegt es auch am etwas eigenwilligen Streckenprofil meines Arbeitswegs. Mit Entspannung ist da jedenfalls nicht viel.

Mit dem Rad am Phoenixse in Dortmund.

Auf Naturgenuss folgt Straßenkampf

Morgens könnte es kaum schöner sein. Nach anderthalb Minuten bin ich im Grünen, fahre an Feldern vorbei, sehe Feldhasen, Raubvögel, Fasane. Doch sobald ich Hagen erreiche, folgt der Straßenkampf.

Hagen gebührt der erste Preis, wenn es um Fahrraduntauglichkeit geht. Wie sollen Menschen vernünftig mit dem Rad zur Arbeit pendeln, wenn sie auf der Straße mit Bussen und Lastern um Platz konkurrieren oder sich mit Fußgängern und entgegenkommenden Radfahrern den Gehweg teilen?

Der Radfahrer ist das Sandwich-Kind des Straßenverkehrs

Und überhaupt, als Fahrradfahrer kannst du es ja nur falsch machen. Entweder bist du für den Straßenverkehr ein Hindernis oder für die Fußgänger eine Gefahr. Der Radfahrer ist das Sandwich-Kind des Straßenverkehrs.

Mich macht Straßenverkehr aggressiv, weil ich in ständiger Abwehrsituation bin. Von den einen willst du nicht überfahren werden, die anderen willst du nicht über den Haufen fahren. Ich glaube, meine Radklamotten würden nicht so miefen, wenn der Anteil an Angstschweiß geringer wäre.

Und dann diese Ampeln!

Es wird ja oft gemeckert, dass ALLE Radfahrer sich an KEINE Regeln halten. Das stimmt so nicht. Ich glaube inzwischen, dass die meisten Radfahrer ihre eigenen Wege suchen, sinnvoll mit den Verkehrsregeln umzugehen, vor allem mit Ampeln. Aber nicht weil Radfahrer von Natur aus böse Menschen sind, sondern weil das Radfahren manchmal verdammt anstrengend ist oder man irgendwie einen Weg finden muss, um zu überleben.

Ich kann einfach nicht langsam fahren.

Natürlich halte auch ich nichts davon, andere zu gefährden und plädiere dafür, absolut rücksichtsvoll miteinander umzugehen. Doch manche Regelübertretung im Straßenverkehr geschieht eher aus, naja, Notwehr.

Wissen Autofahrer eigentlich, was es für einen Radfahrer bedeutet, von einer roten Ampel aus dem Flow gerissen zu werden? Vielleicht sogar am Berg? Mühe! Was für einen Autofahrer ein Tipp aufs Gaspedal ist, ist für einen Radfahrer ziemlich anstrengend und außerdem ein ordentlicher Zeitverlust. Wenn du mit 30 km/h unterwegs bist, ist eine auf Rot springende Ampel und die notwendige Vollbremsung eine echte Gefahr. Dann stehst du da und wartest und wartest und wartest, und weil die Ampel ja so plötzlich umsprang, hattest du neben der Vollbremsung nicht auch noch die Zeit, vom 28. Gang in einen anfahrfreudigeren zu schalten. Alles Probleme, die man im Auto nicht hat. Und keinem Autofahrer schwirren an roten Ampeln diese widerlichen Fliegen um den Kopf.

„Aber Radfahrer fahren an Ampeln einfach bis vorne an den stehenden Autos vorbei!“ Ja, und zwar, um beim Anfahren nicht zerquetscht zu werden, sondern schnell der Blechlawine zu entkommen.

Linksabbiegen: Wer ist hier der Boss?

Das größte Spektakel ist aber das Linksabbiegen. Das muss ich auf meiner Strecke zur Arbeit viermal. Beim ersten Mal geht‘s. Das zweite Mal liegt am Ende einer Schussfahrt, bei der ich mehr als 50 km/h und die Autos am Ende sogar 90 Sachen drauf haben. Zum Glück bremst die Ampel am Ende der Straße den gesamten Verkehr, sodass es meist möglich ist, mit Handzeichen rüber auf die Abbiegespur zu kommen.

Das dritte Mal ist wieder easy, Linksabbiegung Nummer Vier habe ich gestrichen und nehme stattdessen die Fußgängerampel, wofür ich natürlich auf den Bürgersteig muss. Linksabbiegen im Berufsverkehr ist für einen Radfahrer immer mit der Hoffnung verbunden, gesehen und ernst genommen zu werden.

Das Rechtsfahrgebot — Theorie und Praxis

Wie gesagt, egal, wo du fährst, als Radfahrer störst du. Natürlich soll man so weit rechts wie möglich fahren. Das allerdings hat gleich mehrere Haken:

  • Autofahrer versuchen, dich in ihrer Fahrspur zu überholen und fahren entsprechend knapp an dir vorbei.
  • Wenn du einem Hindernis, das von rechts in deinen Weg ragt (Äste, parkende Autos, Mülltonnen, spontane Fußgänger, Bushaltestellen…), ausweichen willst, musst du damit rechnen, von hinten angefahren zu werden.
  • Seitenstreifen verschwinden gerne mal plötzlich, sodass du eh plötzlich auf der Straße bist.
  • Der Straßenbelag ist am Rand oft grauenhaft und du bollerst über eine Schlaglochpiste.

In der Praxis ist es zum Ärger der Autofahrer viel gesünder, etwas weiter mittig zu fahren. Autos müssen zum Überholen mit 1,50 Metern Abstand eh die Gegenfahrbahn nutzen, was nur geht, wenn kein Gegenverkehr ist. Natürlich machen das die meisten nicht, weil sie sauer sind, dass der Radfahrer ihnen gerade mehrere Sekunden (!) Verzögerung aufgezwungen hat.

Auf dem Heimweg muss ich 215 Meter klettern.

Neulich hatte ich wieder so ein Exemplar. Ich quälte mich gerade bergauf auf eine Engstelle zu (Verkehrsinsel), und der Autofahrer hinter mir konnte es sich nicht nehmen lassen, mich kurz vor der Insel noch schnell eng zu überholen und kurz vor mir wieder einzuscheren, weil es ihn ja ansonsten unerträgliche fünf Sekunden gekostet hätte, wenn er mit dem Überholen bis nach der Insel gewartet hätte. Er erntete dafür von mir wildes Gefuchtel mit der Faust und ein höhnisches Grinsen, als ich ihn an der nächsten Ampel neben mir stehen hatte.

Nicht der Radfahrer ist pervers, sondern die Situation, in der er fährt

Zugegeben, es gibt viele Radfahrer, die fahren, als ob Straße und Gehwege ihnen gehören würden, die rücksichtslos sich und Andere gefährden. Oder diese Sonntagsradler mit ihrem gefährlichen Schlingerkurs. Was mich als Radfahrer aber nervt, sind Alltagssituationen, in denen Autofahrer null Verständnis zeigen. Wenn du dich in einer eng beparkten Straße bergauf abrackerst und dich Autofahrer trotz des nicht vorhandenen Platzes überholen wollen. Wenn du in der gleichen Straße bergab rollst, aber dem nicht wartenden Gegenverkehr ausweichen musst. Oder wenn du in einer 30er-Zone 32 fährst und trotzdem überholt wirst.

Mein Weg zur Arbeit ist das perfekte Beispiel dafür, wie Fahrräder und Autos NICHT zusammen auf die Straße passen.

  • Kurz nach dem Start kommt ein Aufstieg. Die Straße hat einen breiten Seitenstreifen, auf dem man gut fahren kann. Allerdings muss man ein paar Stellen auf die Fahrbahn ausweichen, was schon eine Gefahrenquelle ist.
  • Nach dem Aufstieg kommt eine vielbefahrene Straße (für Ortskundige: die Wittbräucker Str., auf der ich jetzt bis Herdecke bleibe). Die hat ebenfalls einen relativ großzügigen Randstreifen, der aber ab und zu von einer Sprungschanzen ähnlichen Bushaltestelle und parkenden Autos unterbrochen wird. Also muss man wieder kurzfristig in den fließenden Verkehr springen.
  • Ampel, linksabbiegen — mit viel Umsicht machbar.
  • Jetzt kommt das schnellste Stück der Strecke. Wieder hat die Straße einen Randstreifen, der Asphalt der Straße rollt aber besser. Autos fahren hier 70, ich versuche zwischen 30 und 40 zu fahren. Plötzlich ist der Randstreifen weg.
  • Schussfahrt ins Tal. Mit 55 km/h sause ich bergab. Auf dem eigentlich gut zu befahrenden Randstreifen parken ab und zu Autos, die mich auf die Fahrbahn zwingen. Plötzlich stehen Poller dicht an dicht und beenden die Fahrt auf dem Seitenstreifen. Unten bremst eine Ampel den Verkehr so ab, dass das Linksabbiegen möglich ist.
  • In Herdecke teilen sich Fußgänger und Radfahrer einen passablen Gehweg entlang der Straße. Bei Gegenverkehr ist das aber weit weg von optimal.
  • Um nach Hagen zu kommen, darf man als Radfahrer nicht mit dem Autoverkehr Richtung Ruhrbrücke rollen, sondern muss einen erheblichen Umweg fahren. Das ärgert mich total. Stattdessen fährt man auf einem ca. 50 Zentimeter breiten Radweg, der ein absoluter Witz ist.

Kurzum: Radfahren ist gesund und macht Spaß. Aber es ist auch echt anstrengend. Und bevor irgendeine Bundesregierung Lastenräder propagiert, soll sie Arbeitgeber zwingen, Duschen anzubieten. Das hilft dann zumindest dem Betriebsklima.

2 Antworten auf „Mit dem Rad zur Arbeit: Weck das (Stink)Tier in dir“

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