In einer der letzten Folgen des Podcasts 1rennt1hinterher haben die Hosts Christian Schmidt und Hendrik Pfeiffer mit Claus Dethloff, Gründer des Projekts Germany Athletics, gesprochen. Dethloff verfolgt einige spannende Ansätze, liegt meiner Meinung nach in vielen Punkten aber auch völlig daneben. Außerdem bekommt der DLV in diesem Text sein Fett weg.
In der deutschen Leichtathletik liegt einiges im Argen. Dass das nicht unbedingt an den Athleten liegt, habe ich in diesem Blog schon öfter thematisiert. Deutschland hat einfach kein Mindset, mit dem sich Spitzensport fördern lässt. Die Sportverbände hängen am Tropf der Bundesregierung und müssen sehr begrenzte Mittel an die Aktiven verteilen, dabei noch Strukturen wie Stützpunkte aufbauen und nebenbei noch Ereignisse wie internationale Meisterschaften oder Olympia organisieren.
Kein Fördersystem, das den Namen verdient
Das hat in den vergangenen Jahren zu einem System geführt, in dem junge Athleten entweder übersehen oder, wenn sie entdeckt werden, nicht gefördert werden. Zumindest nicht von ihrem Verband. Im Leistungssport nach oben zu kommen, ist in Deutschland Glückssache – und dann auch noch davon abhängig, ob jemand Eltern hat, die bereit (und finanziell in der Lage) sind, Zeit und Geld in den Sport ihres Nachwuchses zu investieren. Die Strukturen sind träge, verkrustet, überreguliert, starr.
Das alles will Claus Dethloff ändern. Sein Ansatz ist disruptiv und stößt daher beim Verband natürlich auf wenig Gegenliebe. Im Podcast erzählt der Manager ausführlich und anschaulich, wie sein Konzept funktioniert. Im Kern schafft er ein Franchise-System, an dem sich Leichtathletik-Vereine beteiligen können. Im Fokus soll dabei die Region bzw. die Stadt stehen.
Liste der Athletics-Franchises (Stand August 2025)
Germany Athletics
Düsseldorf Athletics
Cologne Athletics
Frankfurt Athletics
OWL Athletics
München Athletics
Leipzig Athletics
Berlin Athletics
Saarland Athletics
Hamburg Athletics
Merkt ihr was? Klingt nach Einheitsbrei, oder?
Was ist Germany Athletics?
Das von Dethloff gegründete System will:
• Professionalisierung von Strukturen
• Liga-System mit regelmäßigen, kompakten Events
• Nachwuchsförderung in Kooperation mit Schulen und Breitensport
• Synergien zwischen Spitzen- und Breitensport
Allesamt unterstützenswerte Ziele. Vor allem das Liga-System finde ich spannend (zumal ich die Idee selbst schon einmal vorgeschlagen habe. Denn was im Triathlon funktioniert, sollte auch in der Leichtathletik machbar sein.
Das Franchise-Konzept – und warum es mir Bauchschmerzen macht
Dethloff will ein landesweites Netzwerk von Vereinen bzw. Franchise-Nehmern unter einer gemeinsamen Marke: „XY Athletics“. Einheitlicher Look, englischer Name, zentrale Steuerung. Dazu eine nationale Liga – nach nordamerikanischem Vorbild – ohne Auf- und Abstieg.
Er sagt im Podcast: „Die (gemeint sind Fans, Anm. d. Autors) kennen vielleicht gar nicht die Spieler, die sind vielleicht auch austauschbar.“ Er überträgt diesen Gedanken auf die Leichtathletik und meint, Stadtname + Athletics könne dieselbe Bindung erzeugen wie ein Traditionsverein.
Lokalpatriotismus als Träger
Dethloff möchte Fans in die Stadien locken, die sich eigentlich nicht für die Leichtathletik interessieren, sondern Lokalpatriotismus als Trigger sehen. Als Parallele zieht er den Fußball heran. Dort, so Dethloff im Podcast, gingen zahlreiche Fans ja auch ins Stadion, weil dort ihre Stadt spiele und das Event an sich spannend inszeniert sei – der Sport oder das Spiel an sich seien zweitrangig.
Im Mannschaftssportarten wie Fußball, Handball oder Eishockey sei es so, dass „wir Münchener, wir Kölner unsere Mannschaft anfeuern.“ Im Podcast sagt er: „Die kennen vielleicht gar nicht die Spieler, die sind vielleicht auch austauschbar.“ Da hat er allerdings recht. Kein Spieler ist größer als der Verein, und wer sich heute als Fan eines Vereins noch mit Spielern identifiziert, hat das Profi-Geschäft nicht verstanden. Leider.
Aber völlig falsch liegt Dethloff hier: „Nicht der erste Fußballclub interessiert die Leute, sondern das sind ‚die Kölner‘ oder der ‚Kölner Club‘, ‚die Münchener‘. Und solche Elemente sollten wir versuchen, in die Leichtathletik einzubringen. Deswegen ja auch unser Konzept mit unseren Clubnamen: der Name der Stadt und Athletics.“
Keine Ahnung von Fankultur
Sorry, aber da hat Claus Dethloff einfach überhaupt keine Ahnung, wie Fans funktionieren. Als BVB-Fan nenne ich meinen Verein fast immer „Borussia“ oder „der BVB“. Ich finde es befremdlich, wenn BVB-Fans die Borussia als „Dortmund“ bezeichnen. Das grassiert in letzter Zeit zwar, dürfte aber hauptsächlich von ausländischen Vloggern und aus der Gaming-Kultur kommen, wo oft die Namensrechte fehlen. Wer einen Verein wie nennt, hat sehr oft sehr viel mit dem jeweiligen Kontext zu tun. Die Stadt ist AUCH wichtig, aber nicht am wichtigsten. Die ganzen Fans aus dem Umland oder von weiter weg sind nicht Fans der Stadt Dortmund, sondern von Borussia Dortmund. Und in Köln lautet der Text eines der mitsingbarsten FC-Lieder explizit „Erster Fußballclub Köln“, die Bayern huldigen dem örtlichen Super-super-super-Club mit „FC Bayern, forever Number One“ – nix München. Wäre ja auch komisch bei so viel Ostdeutschen, die ihre Defizite mit der Wahl des langweiligsten deutschen Klubs kompensieren müssen.
Ihr seht: Ich kann in Sachen Fußball eine gewisse Emotionalität nicht verbergen – und das ist der Punkt. Ich mag die Stadt München total, kann aber den FC Bayern auf den Tod nicht ausstehen. Stadt und Verein bilden nicht immer eine Symbiose, sondern können sogar im krassen Gegensatz zueinander stehen.
Spinnen wir das mal weiter. Wenn die Stadt die Klammer wäre, würden in München 60er und Bayern gemeinsam im Block stehen und den FC Bavaria von 1860 anfeuern. Und Pauli und der HSV sowie Union und Hertha hätten auch schon längst fusionieren können.
Fankultur ist komplex und in mehr als 100 Jahren gewachsen. Die lässt sich nicht künstlich erzeugen. Und das ist gut so.
Am Ende versteigt sich Dethloff sogar zu der Aussage, von 50.000 Zuschauern kämen viele zum Fußball, die sich für das Event, aber nicht für das Ergebnis interessieren. Ja, das sind genau die Zuschauer, die den Fußball kaputt machen. Wie wichtig Fans das Ergebnis ist, erkennt man an der kollektiven Ekstase, wenn ein unverdientes Siegtor in der 92. Minute fällt. Fußball ist ein Ergebnissport – es zählt nur und einzig das Ergebnis.
Es droht die Redbullisierung der Leichtathletik
Offenbar schaut Claus Dethloff beim Fußball eher dorthin, wo man alle widerlichen Auswüchse des modernen Fußballs in Reinkultur sehen kann: nach Leipzig. Sein Konzept riecht nach der Redbullisierung der Leichtathletik. Als Fan finde ich das mehr als gruselig.
Wenn ich die Aussagen im Podcast richtig verstanden habe, würden in der neuen Leichtathletik-Liga lauter Franchise-Teams mit austauschbaren Namen wie Cologne Athletics, Düsseldorf Athletics, OWL Athletics, Leipzig Athletics 8na, erkennt ihr ein Muster?) gegeneinander antreten. Alle in den gleichen schwarzen Trikots. Gähn.
Mein erster Gedanke, als ich das gehört hatte, war: Was wird dann aus traditionsreichen Vereinen wie der LGO Dortmund oder dem TV Wattenscheid? Sollen die sich auch dem Athletics-Konzept unterwerfen, um in der Liga startberechtigt zu sein? Das wäre kein Aufbau, sondern Abriss.
Wettkämpfe machen Sport attraktiv
Dabei hat Dethloff mit der Grundidee „mehr Liga“ meiner Meinung nach einen Punkt. Vorbild könnten die Punktesysteme wie bei den Länderkämpfen, die es früher mal gab, sein. Das ist total transparent und für jeden nachvollziehbar, der Addition beherrscht. Ich finde, die Leichtathletik krankt daran, dass es zu wenig hochklassige Wettkämpfe in der Nähe gibt. Und wenn es ein Sportfest auf der heimischen Kampfbahn gibt, dann zieht sich das endlos in die Länge.
Leichtathletik ist – machen wir uns nichts vor – für ein fachunkundiges Stadionpublikum total unattraktiv. Du siehst nix, keiner erklärt dir was und irgendwie ist immer Pause. Die einen Sportler brauchen Ruhe beim Start, die anderen wollen Stimmung beim Anlauf.
Dennoch bin ich überzeugt: Wenn im Stadion Rote Erde verlässlich alle zwei Wochen ein Leichtathletik-Meeting stattfände, fände diese wunderbare Sportart auch ihren Weg in die Köpfe und Herzen der sportbegeisterten Bürger.
In einer Liga ginge es zudem in erster Linie um Platzierungen, nicht um Zeiten und Weiten. Wettkämpfe, bei denen es um Sieg und Niederlage geht, machen eine Sportart attraktiv. Wer gewinnen will, muss eh schnell laufen, weit werfen, hoch springen. Gute Zeiten kommen durch Wettkampfdruck von alleine.
Offenbar schaut Dethloff beim Fußball ausgerechnet dorthin, wo man alle widerlichen Auswüchse des modernen Fußballs in Reinkultur sehen kann: nach Leipzig. Sein Konzept riecht nach Redbullisierung der Leichtathletik. Als Fan finde ich das mehr als gruselig, denn Red Bull verkörpert auf allen Ebenen nur Abstoßendes.
Wo Dethloff recht hat: Wettkämpfe machen Sport attraktiv – wenn sie vor Ort stattfinden
In einigen Punkten muss ich Claus Dethloff aber aus vollem Herzen zustimmen. Etwa bei seinen Liga-Plänen. Leichtathletik wirkt wie ein Sport ohne Wettkämpfe. Und wenn Wettkämpfe stattfinden, dauern sie ewig. Wenn im Dortmunder Stadion Rote Erde verlässlich alle zwei Wochen ein Leichtathletik-Meeting stattfände, fände diese wunderbare Sportart auch ihren Weg in die Köpfe und Herzen der sportbegeisterten Bürger. Attraktive Athletinnen und Athleten gibt es jedenfalls genug.
Dethloff will allerdings ein System ohne Auf- und Abstieg. Da rieche ich schon wieder Red Bull. Ich fürchte, hier wird eine geschlossene Athletics-Gesellschaft geplant, in der die Franchises sich gegenseitig die Sportler zuschieben und am Ende die Zentrale bestimmt, wer gewinnt. Was wird da aus Traditionsvereinen wie dem TV Wattenscheid oder der LG Olympia Dortmund?
Und mal ehrlich: Wer will sich eine Liga antun, in der zwölf Teams antreten, die alle den gleichen Namen tragen?
Liga-Betrieb heißt auch: Die Athleten müssen in ihre Städte
Eine Liga mit regelmäßigen Heimwettkämpfen brächte noch etwas mit sich, das ich nur begrüßen kann: Athleten, die für einen in einer Stadt beheimateten Verein starten, müssten auch in dieser Stadt trainieren. Ich finde es unmöglich, wenn Athleten ihrem Verein nur pro forma angehören, sich aber nie auf der heimischen Anlage sehen lassen. In den vergangenen Jahren haben einige Sportler beispielsweise die LG Olympia Dortmund gen Wattenscheid verlassen, absolvieren aber viele Einheiten auf Bahnen oder in der Halle in Dortmund.
Ja, ich gebe zu: Es wird an Sponsoren und grundsätzlich am Geld liegen. Also dann so: Wenn wir die Leichtathletik vor Ort besser bekannt machen wollen, müssen die Klubs das nötige Geld haben, um ihren Athleten vor Ort optimale Bedingungen geben zu können und sie an Verein und Stadt zu binden. Da kann ein System wie die Athletics-Franchises helfen, aber ich bin unbedingt dafür, parallel dazu auch für Synergieeffekte zu sorgen, die traditionsreiche Klubs und Gemeinschaften wie den TV Wattenscheid oder die LG Olympia Dortmund profitieren lassen.
Und wie bestehende Vereine unter dem Dach eines Franchise profitieren sollen, ist mir rätselhaft. Wenn ich Claus Dethloff richtig verstanden habe, soll die Talentausbildung weiterhin in den Stammvereinen stattfinden. Bei Meisterschaften würden die Athleten aber im Dress von Athletics auflaufen. Ich verstehe das so: Die Arbeit machen die kleinen Vereine, die Lorbeeren erntet Athletics. Man möge mich korrigieren, wenn ich falsch liege.
Forderung nach echtem Profitum
Komplett zustimmen kann ich allerdings beim Thema Profitum. Dethloff fordert, dass Spitzenathleten mindestens so viel verdienen sollen wie Drittliga-Spieler im Fußball. Nach oben natürlich keine Grenze. Die finanziellen Bedingungen, unter denen Leichtathletik in Deutschland stattfindet, sind allerdings lächerlich. Jeder viertklassige Fußballer verdient mehr Geld als ein überdurchschnittlicher Leichtathlet. Liebe Ausrüster, Schuh-Hersteller, lokale Unternehmen: Gründet lokale oder regionale Pools, unterstützt Vereine, gründet Profi-Teams, kurz: Stärkt diesen wunderbaren Sport, indem ihr die Athleten unabhängiger vom Verband macht.
Kaderpolitik – hier bin ich ganz bei Dethloff
Denn da trifft Claus Dethloff im Podcast voll ins Schwarze. Er kritisiert den Umgang des DLV mit den Athleten auf vielen, vielen Ebenen. Unter anderem kritisiert er die Besetzung des Bundeskaders. Er fordert pro Disziplin feste Kaderplätze – auch ohne Norm – und längere Zugehörigkeiten. Außerdem: Wer im Kader ist, müsse auch bei Meisterschaften starten.
Das sehe ich absolut genau so. Meiner Meinung nach muss es in jeder Disziplin einen Kader von mindestens fünf, eher acht Athleten geben – und zwar sollten das die besten acht sein, unabhängig von Normen. Es kann nicht sein, dass ein Kaderplatz unbesetzt bleibt. Das wäre ja, also würde der DFB die U21 auflösen, weil sie nicht Weltmeister geworden ist.
Diese Kader müssen perspektivisch auf das kommende Großevent, also entweder WM oder Olympia über zwei Jahre kontinuierlich entwickelt werden. Wer im Kader ist, sollte dann auch die Pflicht haben, für die Nationalmannschaft zu starten. Und auch andersrum: Wer bei einem internationalen Event für Deutschland die Knochen hinhält, muss zum Kader gehören. Es kann nicht sein, dass der DLV Athleten zu internationalen Meisterschaften schickt (Beispiel Esther Pfeiffer), sie aber nicht in den Bundeskader aufnimmt. Das ergibt einfach keinen Sinn und zeigt, dass der Verband athletenfeindlich eingestellt ist.
Förderung statt Belohnung
Noch ein Punkt, bei dem Dethloff recht hat: Athleten und Talente müssen gefördert werden. Momentan gibt es ein Belohnungssystem, das erst anspringt, wenn Athleten es in die Spitze geschafft haben. Bis dahin betreiben sie ihren Sport ehrenamtlich und auf eigene Kosten, müssen sogar zu internationalen Meisterschaften, bei denen sie für Deutschland antreten, die Reise selbst finanzieren. Das spottet wirklich jeder Beschreibung.
Insbesondere nach der Schulzeit, wenn junge Menschen vor der Wahl zwischen Ausbildung, Studium und Sport stehen, ist für viele Schluss. Eine Ausbildung zu machen ist für angehende Spitzensportler kaum möglich. Ein Studium bietet da mehr Flexibilität – wenn man es sich denn leisten kann, statt sieben 14 Semester zu studieren. Hier muss der Verband Karriereberatung anbieten und fördern, fördern, fördern und – siehe oben – Profitum einführen.
Nachwuchs fördern & Quereinstieg ermöglichen
Meine beiden Kinder waren in zwei verschiedenen Leichtathletik-Vereinen in Dortmund. Beide hatten das gleiche Problem: Das Training ist langweilig und besteht zu großen Teilen aus warten. Die Trainerinnen waren wirklich super und engagiert, aber sie können nicht ändern, dass beim Werfen oder Springen 20 Kinder in einer langen Schlange stehen und nacheinander an der Reihe sind. Das kann nicht der Zweck von Training sein. Auf diese Weise verliert die Leichtathletik viele Talente.
Grund genug, sich attraktiver für Quereinsteiger aus anderen Sportarten zu machen. Im Fußball kommt für viele irgendwann der Punkt, an dem sie merken, dass der Ball nicht unbedingt ihr Freund ist, sie aber immerhin schnell oder sehr ausdauernd rennen können. Hier kämen Scouts von Leichtathletik-Vereinen oder die Leichtathletik-Abteilung eines Multisport-Vereins ins Spiel und müssten den Fußballern attraktive Karrieremöglichkeiten eröffnen. Das geht natürlich nur, wenn der Kicker mit der Rennerei mindestens so viel Geld verdient wie als Landesliga-Fußballer. Dethloff will Talente aus anderen Sportarten abwerben, vor allem aus dem Fußball – super!
Der Bobsport holt sich schon lange Sprinter in seine Teams. Die Leichtathletik kann das kopieren.
Fazit – Wo wir uns einig sind, wo nicht
Claus Dethloff bringt viele richtige Ansätze – aber sein Franchise-Plan droht, die Seele der deutschen Leichtathletik zu verkaufen. Die Herausforderung wird sein, die guten Ideen umzusetzen, ohne die gewachsene Vereinslandschaft in eine austauschbare Markenwelt zu verwandeln.