„Das Unmögliche machen“ – Michele Ufers größter Kampf

Seit 2013 begleite ich Michele Ufer als Reporter, Läufer, Hypnose-Versuchskaninchen. Beeindruckend sind seine sportlichen Leistungen. Doch seinen größten Kampf führte und gewann Michele abseits der Laufstrecke. Sein Buch Das Unmögliche machen erzählt davon.

Manchmal sind es Zufälle, die zu kleinen oder großen Änderungen führen. Vielleicht wäre ich nie auf die Idee gekommen, jemals einen Ultra zu laufen, wenn ich nicht an einem Tag im Jahr 2013 aus einem völlig anderen Anlass am Ahlenberg in Herdecke unterwegs gewesen wäre.

Der Termin dort war gerade vorbei, ich postete ein Foto auf Facebook und bekam prompt von einem Bekannten den Tipp, dass gleich um die Ecke der Michele Ufer wohnt – gerade zurück vom Everest-Marathon, Sportpsychologe, Hypnose-Experte.

Welcher laufverrückte Journalist würde bei dieser Kombination nicht sofort mit pawlowschen Reflexen reagieren?

Everest und Atacama

Ich glaube, ich bekam noch am selben Tag einen Termin und betrat eine neue Welt. Michele erzählte von einem Etappen-Lauf in der Atacama-Wüste, für den er so gut wie gar nicht trainiert hatte. Und vom Marathon am Everest, von Selbsthypnose und Motivation. Das war alles ganz furchtbar, interessant und anfixend – ein kleines Rabbit Hole.

Ich ließ mich im Selbstversuch hypnotisieren (ja, ich dachte auch kurz an Alf und den Krapfen), las Micheles Bücher Mentaltraining für Läufer, Limit Skills und Flowjäger und kam mit mehr zurück als nur einem Artikel: Mit der Erkenntnis, dass da ein Mensch saß, der nicht nur Ahnung hatte, sondern auch eine Mission.

Der Flowjäger und der Schneepflug

Als Michele begann, zum Thema Flow zu forschen veranstaltete er den „Hillymanjaro“ am Ebberg – eine Mischung aus Trailrun, Selbsterfahrungstrip und psychologischer Studie. Die Aufgabe war für mich mörderisch: Morgens, auf hartgefrorenem Boden, mittags auf seifigem Matsch, abends wieder auf Eis so viele Runden laufen wie möglich, und zwischendurch Fragebögen über den eigenen Flow-Zustand ausfüllen. Und dann auch noch journalistisch arbeiten: filmen, fotografieren, interviewen. Mein Flow wollte sich nicht so richtig einstellen.

Irgendwann taten mir die Knochen weh. 43 Kilometer oder so hatte ich voll. Ich wollte aufhören. „Mach 45, dann ist es ein offizieller Ultra“, sagte Michele. Ich stapfte also mit Schmerzen noch durch den Schnee auf dem Parkplatz. Murrend. Aber ich tat es. So verhalf mir Michele zu meinem ersten Ultra. Motivieren kann er.

Ich beim Ausfüllen des Flow-Fragebogens beim Hillymanjaro im Februar 2015.

Witzig, dass im Teil über den Hillimanjaro ausgerechnet ein mit meinem iPhone 6 aufgenommenes Foto von mir beim Ausfüllen des Fragebogens den Weg ins Buch gefunden hat. Auf diese Weise habe ich einen winzig kleinen Teil zum Gelingen beigetragen.

Über Grenzen – und darüber hinaus

Ich sprach mit Michele über Mentalität und lauschte seinen Ausführungen zu Mentaltraining, Zielsetzung oder Grenzkompetenz.

Michele war vieles: Trailrunner, Psychologe, Grenzgänger. Immer ein bisschen Getriebener, aber nie ziellos. Er dachte groß, handelte schnell, manchmal vielleicht zu schnell für eine Welt, die lieber auf Nummer sicher geht. Sein Leben wirkte wie eine Aneinanderreihung von Extremen.

Und dann: Stille

Irgendwann fiel mir auf, dass man von Michele nichts mehr hörte. Keine neuen Projekte, keine Vorträge, keine Flow-Forschung. Nur durch Zufall – über einen gemeinsamen Bekannten – erfuhr ich, dass er schwer erkrankt war. Ein Schlaganfall auf dem Flug von Chile nach Paris.

Es war, als hätte jemand das Laufband abrupt angehalten.

Und dann blieb es lange still.

Das Unmögliche machen – ein neues Kapitel

Hier beginnt das Buch „Das Unmögliche machen“. Es ist kein typisches Sportbuch. Es ist auch kein reines Comeback-Jubel-Dokument. Es ist das Zeugnis einer Reise und davon, dass es jeden jederzeit erwischen kann.

Das Cover von „Das Unmögliche machen“ von Michele Ufer.

Es ist packend. Michele schildert erschreckend klar, was mit ihm geschah. Ich hatte bis dato gedacht, nach einem Schlaganfall wüsste man überhaupt nicht, was mit einem geschieht. Michele hatte gleich zwei Schlaganfälle, wobei der erste ein Riss der Aorta war.

Michele nimmt seine Leserschaft mit in seine Gedankenwelt und in den Kampf seiner Frau Burcin, ihm in einem Pariser Vorort-Krankenhaus die bestmögliche Behandlung zuteil werden zu lassen. Stattdessen ernten sie Unverständnis und Arroganz. Immer wieder habe ich beim Lesen den Kopf geschüttelt. Ich liebe ja Paris, weiß aber auch, dass die Franzosen ganz schön unausstehlich sein können. Aber Micheles Berichte unterbieten alles, was man Nicht-Erwartung haben kann.

Mentale Stärke und ein starkes Netzwerk

Dass Michele Ufer noch lebt, verdankt er einerseits seiner Physis, andererseits aber auch seiner offenen Art. Denn letztlich waren es Bekanntschaften, die ihm das Leben retteten. Ein befreundeter Arzt, ein Netzwerk aus Freunden und Bekannten. Und natürlich seine Mentalität, sich nicht mit damit abfinden zu wollen, dass es kein Zurück gibt.

Wenn Michele von seiner Aphasie erzählt, der Unfähigkeit, Gedanken in Worte oder Worte in Handlungen umzusetzen, lief mir beim Lesen ein kalter Schauer über den Rücken. Wenn er schildert, wie er nachts Runden im eigenen Garten dreht und sich dabei immer und immer wieder den selben Ast ins Auge sticht, hat das was von Slapstick. Es ist diese Art, sich nicht ganz ernst zu nehmen und doch ganz ernst zu sein, die „Das Unmögliche machen“ so lesenswert macht.

Neben seiner Reise durch seine Genesung nimmt Michele die Leserschaft auch mit auf einen wilden Ritt durch seine Laufabenteuer in aller Welt. Auch dafür lohnt sich die Lektüre.

Wenn es an Das Unmögliche machen einen Kritikpunkt gibt, dann ist es die Schrift. Ich weiß nicht, wer auf die Idee gekommen ist, das Buch derart winzig zu setzen. Echt anstrengend. Aber es lohnt sich.

Das Unmögliche machen

Verlag waller dengler, 272 Seiten, 23 Euro

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.