So nah kommt Olympia nie wieder – als feststand, dass die Olympischen Spiele 2024 in Paris stattfinden würden, war klar, dass ich da hin muss. Wenn ich es sportlich schon nicht schaffe, dann irgendwie anders.
Gedränge. Vorne eine Gruppe Dänen, die eine Flagge am Absperrgitter befestigt haben. Rechts in der Kurve stehen Niederländer in orangefarbenen Shirts und singen sich in Stimmung. Der Rest ist ein riesiges Stimmengewirr aus Deutsch, Amerikanisch und natürlich Französisch. Wir warten.
Das olympische Radrennen
Es ist Samstag, der Tag des olympischen Radrennens der Männer. Wir stehen an einer Haarnadelkurve am Übergang der Avenue Simon Bolivar auf die Rue de Belleville. Ein perfekter Ort, denn hier müssen die Radfahrer auf ihrer Schlussrunde durch Paris zweimal durch. Außerdem wird die Kurve sie zum Bremsen zwingen, sodass sie nicht wie irre vorbeirauschen.
Dass wir überhaupt hier stehen, hat eine lange Geschichte. Olympische Spiele haben mich schon immer fasziniert. Als Sportfan schaue ich mir seit Jahrzehnten alle vier Jahre alles an, was das olympische Programm hergibt, sogar Bogenschießen oder Surfen. Dumm nur, dass Olympia meistens irgendwo weit weg stattfindet.
Angefixt durch die Universiade 1989
Als 1989 die Universiade in Duisburg stattfand, stand überall der Slogan: „Olympia ins Ruhrgebiet!“, hieß es auf Rucksäcken und Transparenten. Olympia 2000 sollte ins Revier. Passiert ist seitdem: nichts. Und im Ruhrgebiet bzw. ganz NRW gibt es nicht mal mehr ein großes Stadion mit Laufbahn.
Olympia rückte weit weg: Barcelona, Atlanta, Sydney, Athen, Peking, London, Rio, Tokio.
Aber jetzt: Paris! Die Chance! Und dann noch diese geniale Idee der Organisatoren, die Spiele für alle erlebbar zu machen, also mehr weniger offen zugänglich. Allen voran durch den Marathon pour tous, einem offenen Lauf für alle auf der selben Strecke, auf der wenige Stunden zuvor die echten Olympioniken laufen. Ich habe fleißig Kilometer für die Verlosung gesammelt und eine Challenge nach der anderen abgearbeitet, doch der Andrang war zu groß.
Mit großem Andrang rechneten auch die Hoteliers, zogen die Preise kräftig an – und verschätzten sich. Diese Fehlkalkulation der Pariser Hoteliers war nun mein Glück. Die Preise für Unterkünfte purzelten plötzlich, als die Touristen wegblieben. Denn klassisches Sightseeing ist in Paris momentan nicht möglich. Das schreckt viele zurecht ab.
Hinein ins olympische Flair
Ich kenne Paris nun wirklich ziemlich gut, bin fünfmal hier Marathon gelaufen und habe gehofft, dass es diesmal komplett anders ist. Ist es! Paris lebt momentan Olympia. Genau dieses Flair wollte ich. Paris ist dank Olympia so, wie es sonst wirklich nie ist: entspannt und freundlich! Olympia-Touristen aus aller Herren Länder schlendern geschminkt und mit Fahnen durch die Straßen. Ich habe noch nie so viele Menschen auf ihr Handy starren sehen, weil sie gerade beim Flanieren oder in der Metro einen Live-Stream verfolgen. Olympia vereint die Menschen im Sport und vor dem Display!
Noch schöner wäre es sicherlich gewesen, wenn wir uns durchgerungen hätten, ein paar komplett überteuerte Tickets zu kaufen. Selbst im offiziellen Zweitmarkt gab es nur unfassbar teure Karten, egal, für welches Event. Darum stand für uns fest: Wir gehen zur Radstrecke.
Warten auf die Radfahrer
Nun stehen wir hier an der Metro-Station „Pyrenées“. Dänen, Deutsche, Amerikaner, Niederländer, Franzosen – wir alle warten auf die Fahrer. Jeder Volunteer, der sich auf dem Rad den Anstieg zu unserer Kurve hochquält, wird bejubelt. Jedes Versorgungsfahrzeug weckt Vorfreude. Kaum jemand traut sich, seinen Platz aufzugeben und in das Bistro auf der Ecke zu gehen.
Endlich: Ein Auto mit Fahrrädern auf dem Dach schießt um die Kurve. Mehr Autos, Motorräder, Polizei – die Fahrer kommen! Und wie erhofft, rauschen sie nicht an uns vorbei. Im Stream konnten wir die Dramaturgie des Rennens verfolgen und wissen, dass es mehrere Gruppen gibt. Der Führende kommt, ein Ire. Ihm auf den Fersen klettert ein Dreiergrüppchen zu uns hoch. Weitere Fahrer tröpfeln. „Allez! Allez!“, wird jeder Fahrer angefeuert. Nach wenigen Minuten ist das Spektakel vorbei, wir warten auf die nächste Runde.
Auf der passiert viel. Remco Evenepoel übernimmt die Spitze und setzt sich ab. Wieder rauschen offizielle Fahrzeuge um die Kurve, das ist unser Zeichen, den Blick weg vom Handy zurück auf die Straße zu richten. Schon kommt der Führende Belgier unter ohrenbetäubendem Jubel um die Ecke. Wir sehen gerade den Olympiasieger, ahnen wir zumindest. Jeder weitere Fahrer wird bejubelt, bis die Blicke wieder auf die Handys gerichtet werden. Dort sehen wir, wie Evenepoel eine Panne hat, ein neues Fahrrad braucht, schnell aufsteigt und seinen Sieg am Eiffelturm zelebriert. Als feststeht, dass Silber und Bronze an französische Fahrer gehen, stimmen französische Fans die Marseillaise an.
Beim Abendessen Femke Bol bejubeln
Zum Abendessen landen wir am Rive Gauche in einem sehr touristischen Restaurant. Der Vorteil: Es ist voll mit Ausländern. Amerikaner, Niederländer, Argentinier, Brasilianer, Deutsche und noch mehr genießen ihre Steaks und fixieren die Bildschirme, auf denen die Leichtathletik-Nacht im Stade de France läuft. Höhepunkt: die 4x400m Mixed-Staffel. Alle fiebern mit, feuern an. Die Amerikaner am Nebentisch machen sich fertig zum Siegerjubel, als Femke Bol als Schlussläuferin der Niederlande den Turbo zündet und zum Sieg rennt. „Jaaaaaa!!!“, schallt es in verschiedenen Sprachen von allen Tischen. Wahnsinn – was für ein Lauf!
Zum Ausklang des Abends spazieren wir an Notre Dame vorbei und auf der Rue Rivoli am Louvre entlang zu den Tuilerien, wo gerade der Ballon mit dem Olympischen Feuer in den Nachthimmel steigt. Spätestens jetzt ist egal, dass wir keine Karten für irgendeine Sportstätte hatten. Paris feiert Olympia, Olympia feiert Paris. Ein ganz besonderes Flair liegt über der ganzen Stadt.
Ich will Olympia im Ruhrgebiet!
2 Antworten auf „Ein Tag in Paris: einmal im Leben Olympia sehen“
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